Veröffentlicht: 06.11.2022
„Franziska, turn off your torch, if they see you, they’ll shoot you!“ (für meine Großeltern: Franziska, mach die Taschenlampe aus. Sie erschießen dich sonst, wenn sie dich sehen!)
Das war eine sehr energische Anweisung.
Ich sitze auf dem Gelände der Krankenstation in Oropoi und lache verunsichert. Es ist 19 Uhr und nur die Sterne erleuchten die Nacht ein kleines bisschen. War das jetzt ernst gemeint? Ich frage nach. Die Raider könnten direkt in dem Bereich hinter der Krankenstation sein. Aber der Reihe nach.
Ich bin für drei Tage an der Grenze zu Uganda. Ich bin mit LOKADO hier, der NGO bei der ich gerade ein Praktikum mache. Hier gibt es keinen Strom, keine geteerten Straßen und kein fließendes Wasser. Die meisten Menschen sprechen kein Englisch und auch auch kein Swahili, sondern ihre eigene Sprache: Turkana. Wir übernachten in der Krankenstation und fahren dann tagsüber immer in ein anderes Dorf, Nawountos. Auf dem Weg dahin fühle ich mich wie auf einer kleinen Safari. Wir sehen Dik-diks (das sind ja so putzige Tiere), eine riesige Pfauenfamilie, Bonobos (oder ähnlich aussehende Affen), türkisfarbene große Vögel… Je näher wir der Grenze kommen, desto grüner und lebendiger wirkt die Landschaft.
In Nawountos machen wir eine mehrtägige Schulung für die Dorfbewohner*innen. Die meisten von ihnen leben von Viehhaltung: Ziegen, Kamele oder Kühe. In den Grenzgebieten haben viele Hirten Waffen dabei, die letzten Tage habe ich einige AK-47 (ehrlich gesagt hab ich keine Ahnung davon, aber könnte das gewesen sein) gesehen. Es kommt nämlich immer wieder zu Viehraub über die Grenzen hinweg. Wenn dann ugandische Hirten Vieh gestohlen haben, gehen die Hirten aus Kenia nach Uganda und rächen sich. In diesem Konflikt ist kein Ende in Sicht. Dabei verlieren bis heute immer noch Menschen ihr Leben. Das sind die Raider. Und die verstecken sich wohl auch neben der Krankenstation, in der wir in Oropoi schlafen. Also lieber das Licht auslassen, in der Dunkelheit essen, unter den Sternen einen Wassereimer über sich schütten und möglichst keine Aufmerksamkeit auf uns ziehen. So hab ich auch lieber eine Nacht mit Bauchweh wach im Bett gelegen, als nachts zur Latrine zu tapsen.
Das Ziel unserer Schulung war es, Hirt*innen Klima-smarte Landwirtschaft beizubringen. So können sieunabhängiger von der Viehhaltung werden, die wegen der Dürre immer schwieriger wird und sie zu immer weiteren Wegen und Umzügen zwingt, auch über die Landesgrenzen hinaus. Das hat zur Folge, dass es Konflikte zwischen verschiedenen Hirt*innen gibt, da Land und Futter für die Ziegen eine sehr begrenzte Ressource ist, um die konkurriert wird. Außerdem verbreiten sich so vermehrt Krankheiten in den Herden, wenn sie mit anderen Herden in Kontakt kommen.
Durch klimasmarte Landwirtschaft können die Turkana andere Einkommensquellen generieren und auch Food Crops für ihre Familien anbauen. Viele Tiere sind in den letzten Jahren wegen der Dürre (Hallo Klimawandel!) verendet und haben die Menschen hier in existenzielle Not gebracht. Außerdem ist es auch der Versuch, Frieden in die Grenzgebiete zu bringen. Wenn die Menschen nicht mehr die Grenze überqueren, können hoffentlich die Spannungen und die Gewalt abklingen.
In einem Theorieteil hat ein Agronom der lokalen Regierung ihnen beigebracht, wie sie mit wenig Wasser trotzdem Gemüse anpflanzen können. Dabei wurden wassersparende Anbauweisen wir sogenannte Zai pits, vertikale Gärten in Säcken und Anzucht für kleine Pflanzen gelehrt. Die meisten der Teilnehmenden konnten weder lesen noch schreiben, so wurde das Wissen sehr anschaulich vermittelt . Maß genommen wurde mit der Spanne zwischen Daumen und Zeigefinger (10 cm) oder einem großen Schritt (1m). Nach dem Theorieteil in der Kirche und ein paar christlichen Tänzen und Gesängen dazwischen als Auflockerung, ging es dann in den Gemeinschaftsgarten, wo das Gelernte in die Tat umgesetzt wurde, damit das Wissen auch wirklich profitabel ist.
Ungefähr 35 Teilnehmende wurden ausgebildet, vorwiegend junge Frauen, aber auch ein paar Männer.
Wir haben uns gemeinsam mit einer Vertreterin von IOM (UN nternational Organization for Migration) noch ein Wasser-Bohrloch angeschaut. Mit Solar wird eigentlich Wasser für die Bevölkerung von Nawountos gepumpt und ihnen zur Verfügung gestellt. Leider wurde der Motor gestohlen und alles in Brand gesetzt von ugandischen Menschen. Durch die Zerstörung der Infrasturktur hofften sie, die Turkana von der Nähe der Grenze zu vertreiben.
Was LOKADO sonst noch macht: LOKADO (Lotus Kenya Action for Development Organization) ist eine lokale NGO, die 2003 von Turkana gegründet wurde mit dem Motto: Akurwaun ang’iturkana (The socio-economic awakening of the Turkana people). Der Ausgangspunkt war es, die Turkana-Pastoralist*innen mit den Hirt*innen in Uganda und Südsudan zu befrieden. Inzwischen hat LOKADO sehr viele Kooperationen mit internationalen Organisationen von UNHCR, World Food Programme, GIZ, Welthungerhilfe… und versucht, sowohl für Geflüchtete aber auch für die Turkana Unterstützung zu leisten.
In der ersten Woche im Monat gibt es die Lebensmittelrationen-Austeilung im Geflüchtetencamp, sie haben Baumschulen und verteilen Setzlinge an Geflüchtete und Turkana, machen Feuerholz-Vergaben, Projekte zu Agroforstwirtschaft und Klimasmarter Landwirtschaft und Umfragen und Datenerhebungen zu Migration, Klimwandel...
Wenn ich nicht gerade im Feld unterwegs bin bei den verschiedenen Projekten, dann sitze ich mit sehr netten Kolleg*innen im Büro in Kakuma. Um 7.30 Uhr werden wir abgeholt und um 17.30 wieder zurück in den Ortskern gebracht, das Büro ist nämlich ein bisschen außerhalb. Ich helfe beim Berichte und Evaluationen schreiben und Anträge stellen für neue Projekte und kann an meiner Forschung arbeiten. Außerdem werde ich sehr viele Löcher in den Bauch gefragt über das Leben in Deutschland, Preise, Armut, Stipendien um in Europa studieren zu können.Über das Durchschnittsalter für Heiratswillige und wie teuer eine Scheidung ist. Ganz schön oft musste ich googlen und hab mir deutsche Statistiken angeschaut, um ihnen auch die richtigen Infos zu geben. Viele Dinge haben sie sehr überrascht. Das Bild des reichen Deutschlands mit sehr sehr billigen Lebenshaltungskosten hält sich fest. Wie teuer mein (sehr billiges) WG-Zimmer in Freiburg ist, hat sie zum Beispiel sehr schockiert.
Bei der Arbeit gibt es für alle immer Frühstück – das ist weißer Chai mit ganz viel Milch und noch mehr Zucker und Crepes oder Buttertoast und zum Mittagessen gibt es jeden Tag Ugali, Ziegenfleisch und spinatähnliches Gemüse. Falls ihr noch mehr über LOKADO wissen wollt, schaut euch einfach die Internetseite an: lokado.org/web
In Oropoi konnte ich auch spannende Daten für meine Forschung zum Thema „CLIMATE VULNERABILITY – THE IMPACT OF THE CLIMATE CRISIS ON REFUGEES IN KENYA“ sammeln. Es geht also um die Auswirkungen des Klimawandels auf Menschen, die schon geflüchtet sind und in Camps leben. Bei der Vorbereitung auf meine Forschung habe ich aber gemerkt, dass ich den Fokus erweitern will und auch die Turkana, die aufnehmende Gesellschaft, mitberücksichtigen will. Sie sind genauso wie die Geflüchteten hier in Kakuma von der Dürre betroffen und bei MAPA (most affected people and areas) der Klimakrise mitzudenken. Kakuma ist eine Stadt voll von internationalen Hilfsorganisationen, die aber ursprünglich ihren Fokus auf die Geflüchteten hatten: Sie bekommen kostenlose Lebensmittelrationen, Schulbildung, Gesundheitsversorgung und Unterstützung für Lebensraum. Die Turkana, die in ihrer nomadischen Lebensform auf eine Art und Weise auch Vertriebene sind, bekommen diese Unterstützung (meistens) nicht und sind somit von der Dürre, Wasserknappheit, Viehverlust, steigenden Preisen… besonders stark betroffen. Das ist der Ausgangspunkt meiner Forschung. In den kommenden Monaten möchte ich anschauen, wie die Geflüchteten und die Turkana die Dürre und den Klimawandel wahrnehmen, welche Coping- und Adaptationsmechanismen sie haben und auch wie die internationalen Organisationen dabei ihre Rolle spielen.
Klimawandel ist allen Menschen hier ein Begriff. In einem Interview mit einem jungen Viehhirten ist aber schnell klargeworden, dass mein Verständnis nicht mit seinen Konzepten übereinstimmt. Gott entscheide, ob es regnet oder ob die nächste Dürre kommt. Dass Menschen schuld an der Erderwärmung sind, zum Beispiel wenn sie Bäume fällen wird von ihm auch bejaht, doch der Fokus liegt auf Gottes Willen. Der junge Mann hat in den letzten Jahren den Großteil seiner Ziegenherde verloren, doch gab es keine Alternativen für ihn. Er hofft, dass er mit dem Training und dem Anbau von Gemüse mehr Nahrungssicherheit erlangen wird. In seinen Worten lag viel Hoffnung, denn er sei es gewohnt, sich immer wieder an neue Situationen anpassen zu müssen und auch mal tagelang nichts zu essen.
Die Welthungerhilfe hat in den letzten Wochen den Welthunger-Index herausgegeben. Kenias Situation wird als bedenklich eingestuft. Ostafrika leidet unter der schlimmsten Dürre seit 40 Jahren. Das kleine Video zeigt die Zahlen, mit denen der „Hungerzustand“ berechnet wurde: https://www.youtube.com/watch?v=eWxryxoNjw4
Nachmittags hatten wir immer frei und waren zurück in Oropoi, weil es in Nawountos gar keine sichere Möglichkeit gegeben hat, um zu übernachten. Im ausgetrockneten Flussbett spazierten wir entlang und picknickten neben vielen Kamelen. Ich war ganz begeistert, meine kenianischen Arbeitskolleg*innen waren nicht so beeindruckt. Die Nächte in Oropoi waren sternenklar und sehr frisch – wir haben sogar gefroren, aber die Abkühlung tat uns allen sehr gut nach den vielen heißen schlafraubenden Nächten in Kakuma.
Am Ende treffe ich noch einen alten Mann in der einzigen Bar in Oropoi. Meine Kollegen sagen mir, er sei reich, aber er wisse es nicht. Er hat 5 Frauen und für jede einen Brautpreis (Dwory) von 20 Kamelen (500 € pro Tier), 50 Rindern (400 €) und 400 Ziegen (60 €)„gezahlt“. Pro Frau wären das also ungefähr 54000 €, das mal 5! „You cannot buy a woman, it’s a sign of respect.“ Es geht dabei nicht darum, die Frau zu kaufen und zu besitzen, sondern den Schwiegereltern ein Leben lang Respekt zu zeigen. Außerdem besitzt er ungefähr 1000 Ziegen. „Er würde eher sterben, als seine Herde zu verkaufen. Es gibt ihm Privelegien, andere respektieren ihn dafür und hören auf das, was er sagt…“
Lala salama –schlaft gut