Feldtagebuch-aus-Kakuma
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Food Distribution

Veröffentlicht: 16.11.2022

In der ersten Woche im Monat findet im Geflüchtetenlager die Nahrungsrationen-Verteilung statt.
Das Camp ist in insgesamt 4 Camps unterteilt, Kakuma 1-4 und es gibt 3 Food Distribution Center. Das Essensvergabe-Center in Kakuma 1 wird von LOKADO (also der NGO, bei der ich Praktikantin bin) betrieben - im Auftrag für UNHCR und das World Food Programme. Kakuma 1 ist das älteste Camp, seit 1992 leben dort Geflüchtete, einige von ihnen nun in der 3., vielleicht sogar schon 4. Generation. Die „Lost boys of Sudan“ waren die ersten, die aufgenommen wurden. Es waren kleine Jungs, ohne Eltern, die erst vor dem Bürgerkrieg im Süden Sudans fliehen mussten. Für einige Jahre lebten sie in Äthiopien unter prekären Umständen, sie liefen 1000 Meilen zu Fuß. Von den Überlebenden kamen 10000 Jungs in Kakuma an. 4000 von ihnen wurden in den letzten Jahren in die USA umgesiedelt. Heute leben mehr als 22 Nationalitäten im Camp, mehr als die Hälfte der 188.000 Menschen kommen aus dem Südsudan. Somalis machen ungefähr 1/3 der Geflüchteten aus. Einige kommen aus dem Kongo, Ethiopien, Burundi,…

Raus aus Kakuma Town Richtung Refugee Camp
EIne Marktstraße im Camp
Kleine Straße im Camp

An 5-7 Tagen werden allein in Kakuma 1 mehr als 65.000 Menschen mit Essen versorgt. An zwei Tagen konnte ich dort mitarbeiten. Von jedem Haushalt kommt eine Person, um die Lebensmittel abzuholen. In Kakuma 1 gibt es knapp 14.000 Haushalte, die für November Mais, Speiseöl und rote Bohnen oder andere Hülsenfrüchte abgeholt haben. Für Kleinkinder gab es zusätzlich noch hochkalorische Erdnusspaste. 14000 Menschen in einigen Tagen sind eine logistische Herausfoderung! Die Menschen warten teilweise ab morgens um 5 vor dem Verteilungszentrum, geben dann wie am Flughafen digitale Fingerabdrücke ab und zeigen ihre Karte für die Lebensmittel vor, die mit einem Barcode versehen ist und Daten bereitstellt, wie viele Personen zum Haushalt gehören. Es soll so sichergestellt werden, dass jeder Haushalt nur einmal seine Lebensmittelration abholt. In der Vergangenheit wurde immer wieder getrickst und das Essen dann weiterverkauft, vor allem an die lokale Bevölkerung der Turkana, die keine Lebensmittelrationen bekommen. Nach der Registrierung wird dann in insgesamt 6 Ausgabereihen die Rationen je Haushaltsgröße abgemessen. Haushalte mit über 20 Personen sind keine Seltenheit. Diesen Monat gab es pro Person 6,3 kg Mais, 1,8 kg Bohnen und 1,05 l Öl. Bei einem 20-Personen-Haushalt kommt da schnell mal ein Gesamtgewicht von 183 kg zusammen, die dann transportiert werden müssen. Über die Jahre hinweg sind die Rationen weniger geworden. Auch hier sind der ukrainische Krieg und Missernten durch unvorhersagbare Wetterereignisse spürbar. Einer meiner Kollegen meinte, dass es vor einigen Jahren noch Fleisch und Nudeln für die Geflüchteten gab. Seiner Meinung nach gehen die Nahrungsmittelrationen runter, um die Geflüchteten weniger abhängig zu machen, damit sie gezwungen werden, sich selbst um ihr Essen zu kümmern. Er meint, man müsse das Mindset der geflüchteten ändern, sie sollen sich nicht so abhängig machen. Ich frage mich, wie die Ernährungssicherheit aussähe, wenn hier nicht tonnenweise Lebensmittellieferungen ankommen würden, wenn hier keine Organisationen die Logistik übernehmen, dass jeder Haushalt mit Essen (oder zumindest den Basics) versorgt wird. Zusätzlich bekommt jede Person ungefähr 5 Euro im Monat, um sich bei bestimmten Shops zusätzlich mit Essen zu versorgen. Das sogenannte Bamba Chakula-Geld wird auf die Simkarte geladen und kann nur bei bestimmten Shops im Camp eingesetzt werden. Wenn man Pech hat, wartet man den ganzen Tag, kam nicht dran, und muss am nächsten Tag wieder warten.

Hier ist kurz erklärt, wie bamba chakula funktioniert! https://www.youtube.com/watch?v=X0G-M4tZVtw

Vor allem Frauen holen die Rationen ab - auf dem Boden in der Warteschlange sind 1,5m Coronaabstand aufgezeichnet
Auf der Tafel ist angeschrieben, wie viel kg Lebensmittel diesen Monat verteilt werden. Für Haushalte mit Größe 20, 19, 18 oder 17 Personen.
Ausgabe von Öl
Die Frau misst Öl pro Haushaltsgröße ab
Mit meine Kollegin scanne ich die Fooddistribution-Karten
Die Karte, mit der die Geflüchteten zur Abholung der Ration berechtigt sind
Hier wird Mais verteilt
Hunderte 50kg-Säcke so weit das Auge reicht
Vor dem Food Distribution Center warten viele Träger*innen mit Motorrädern, Karren...
Während der Wartezeiten noch ein paar Wörter Swahili aufgeschnappt

Kakuma Refugee Camp ist weit über seine Kapazitäten bewohnt. Das Camp war für 70.000 Menschen ausgelegt. Es war nicht darauf angelegt, über Jahrzehnte ein dauerhaftes "Zuhause" zu werden. Aber dieses Jahr feierte es sein 30-jähriges Bestehen, mit Infrastruktur, die eine starke Abhängigkeit der "Hilfsorganisationen" gefestigt hat.

Es gab in den letzten Jahren Bemühungen, ein alternatives Camp aufzumachen, das zum einen Platz für 60.000 weitere Geflüchtete hat und zum anderen den Fokus darauf legt, Geflüchtete in die Host-Community der Turkana besser zu integrieren und mehr Selbstständigkeit zu fördern. Das Projekt hat den Namen Kalobeyei Integrated Settlement und folgt dem KISDEP (Kalobeyei Integrated Socio-Economic Development Plan). Derzeit leben 45.000 Menschen im Settlement, jeden Tag kommen neue Geflüchtete an.
In Kalobeyei gibt es keine Lebenmittelrationen, die verteilt werden. Alles läuft über Cash-transfer, also geldbasierte Bezahlsysteme. Außerdem sind die Häuser aus Stein gebaut, mit kleinen Gärten außenherum zur Selbstversorgung. Es sieht mehr aus wie ein Dorf. Außerdem gibt es Gemeinschaftsgärten und riesige Gewächshäuser, damit sich die Menschen selbst mit Obst und Gemüse versorgen können. Kalobeyei ist der Versuch, als Siedlung ein langfristiges Zuhause zu schaffen, das auf lange Sicht unabhängig von internationalen Organisationen wird. Dazu wird auch Kleinunternehmern und Startups geholfen, Fuß zu fassen. Und es hat zum Ziel, Geflüchtete und Turkana gleichermaßen zu fördern, ohne Parallelstrukturen zu schaffen.

Das sind die vorläufigen Häuser in Kalobeyei für Neuankommende - sie bekommen Geld, um dann Steinhäuser zu errichten.

In den letzten Tagen war ich mit einem Team von Lokado in Kalobeyei unterwegs, um Daten zu erheben, wie die Verteilung von Feuerholz und Baumsetzlingen läuft. Dafür haben wir sowohl Privatpersonen als auch Schulen und ein Krankenhaus in Kalobeyei befragt, was die Herausforderungen sind (immer Bewässerung), wie viele Bäume überlebt haben, ob sie genug Feuerholz bekommen… Feuerholz wurde früher auch an die Haushalte verteilt, heute bekommen es nur noch Institutionen. Das hat zur Folge, dass die Geflüchteten sich selbst auf den Weg machen, um Bäume zu fällen. Direkt neben dem Camp wächst inzwischen kein Baum mehr. Die Host Community beschwert sich deswegen und es führt zu Spannungen. Ihr Vorschlag wäre, dass Organisationen totes, trockenes Holz von den Hügeln bringen und es verteilen, damit keine weiteren Bäume mehr abgeholzt werden. Eine Turkana-Frau mit viel Verständnis für die Geflüchteten meinte: „Sie haben kein Feuerholz, aber Essen. Wie sollen sie ohne Holz kochen? Sollen sie kalten, trockenen Mais essen? Fleisch, ohne es zu braten?"

Auf ins Feld!
Die Bergkette zu Uganda am Horizont
Eine Turkana-Frau transportiert Feuerholz Richtung Camp, um es dort zu verkaufen
Interviews zu den Setzlingen, Kochmöglichkeiten statt Feuerholz...
Gepflanzte Bäume in einer Sekundarschule begutachten - der Umweltclub kümmert sich drum. aber ohne genug Wasser ist das schwer
Nur noch Reste von Bäumen sind neben dem Kalobeyei Settlement zu sehen - Feuerholz wird dringend zum Kochen gebraucht mangels besserer Kochalternativen

Mein Leben in Kakuma istsehr alltäglich geworden. Morgens um 7.30 warte ich verschlafen auf den LOKADO-Landrover.Manchmal auch eine Stunde lang – dann verfluche ich den Wecker und dass ich so pünktlichwar. Das Frühstück entschädigt das aber - in den weißen pappsüßen Chai könnte ich mich reinlegen.

Weißer Chai und Maandazi
Unsere Cafeteria bei LOKADO

Wenn ich nicht im Büro bin, gehe ich mit einer Gruppe ins Feld (das sindmeine Lieblingstage). Um 17.30 werden wir zurückgebracht. 3 Mal die Woche gönneich mir dann 2 Stunden lang Afrodance, Aerobic, Leichtgewicht und Yoga beimeistens stabilen 35°C und dann verbringe ich den Abend entweder im Cairo Hoteloder in der einzigen Clubähnlichen Location Nakosi mit DJs. Und die nächsten 2-3 Tage mit Mordsmuskelkater.

Im Cairo treffe ichandere Forscher*innen, Menschen die beim UNHCR oder anderen Organisationen arbeiten…Es ist der Ort der Weißen und „Reichen“ und man bekommt hier sogar Pizza, Burgerund Eis – zu europäischen Preisen. Für mich ist Cairo meine Ersatz-Bibgeworden, da ich mich im Gästehaus meistens nicht aufraffen kann, mich an denLaptop zu setzen. Da im Cairo viele Menschen arbeiten, fühlt sich das an wie einCoworking-Space und leckere Säfte und Smoothies zur Erfrischung gibt’s da auch.

Fast so schön wie der Freiburger Glaskasten oder? Und hier muss man nicht stundenlang einen freien Platz suchen

Es ist ein bisschen ein Paralleluniversum, jeden Tag kommt ein riesiger LKW, der Wasser anliefert. Es wachsen da so viele Pflanzen, das Gras ist so saftig grün. Überall sonst fehlt es an Wasser. Ziemlich absurd, was Geld alles möglich macht… Nakosi ist eher wüstenartig und ein runtergekommener riesiger Innenhof mit Plastikstühlen – es gehört einem hohen Politiker.  Oft ist es wohl so, dass Politiker*innen mit Restaurants und Hotels ihr Geld waschen. Und einem eh schon reichen Mann noch mehr Geld in den Rachen zu schütten fühlt sich auch falsch an, wo ich doch auch zu all den kleinen, lokalen Restaurants gehen könnte, um was zu essen.

Essen und Pemier League in Nakosi schauen
Essen und Premier League im Cairo Hotel
Cairo - die grüne Oase Kakumas
Hier gibt es sogar einen Kamin - zum Glück Fake bei der Hitze

Fast jeden Abend setze ich mich alleine an einen Tisch im Cairo und lerne so viele spannende neue Leute kennen. Das ist wirklich toll. Die meisten von ihnen bleiben nur kurz in Kakuma, aber ich hab mich wohl dran gewöhnt, einfach den Moment zu genießen und die Gewissheit zu haben, dass morgen bestimmt wieder andere spannende Leute kommen. „Cairo produziert Wazungus (weiße Menschen), sie ploppen einfach jeden Tag hier raus wie Pilze“. In den letzten Tagen habe ich hier einen Poeten aus dem Refugee Camp kennen gelernt, der in seinen Gedichten seine Traumata verarbeitet, von dem Stillstand und der Perspektivlosigkeit des Camps berichtet. Und eine Aktivistin aus Nairobi, die von Kongress zu Kongress um die ganze Welt reist, um sich für Bildungsgerechtigkeit einzusetzen. Und ja Activism Burnout gibt es auch hier, vielleicht sogar noch mehr, weil die Klimakrise, die Ungerechtigkeit und Chancenlosigkeit für einige im Bildungssystem… so viel sichtbarer sind. Wir beobachten die Disconnetedness der Entscheidungsträger*innen, die sich mit Champagnerflaschen feiern, wenn sie was „Gutes für die Armen“ gemacht haben und so weit weg von der Lebensrealität der Menschen sind, sich nicht hineinfühlen können. Wie Geschichten von Geflüchteten um die halbe Welt gebracht werden (und Geflüchtete dann in Davos sprechen "dürfen") und sie am Ende schöne Erfolgsstories ausschlachten, aber der Mensch am Ende doch nur an die gleiche perspektivlose Stelle im Camp zurückgebracht wird.

Besonders aufgeregt war ich auch, einen Wissenschaftler zu treffen, den ich in meiner letzten Hausarbeit gelesen und zitiert habe. Wie ein kleines Fangirl (hat nur noch das T-Shirt mit seinem Kopf drauf gefehlt) war ich erst sehr eingeschüchtert, aber Kakuma bricht irgendwie Hierarchien und so hatten wir sehr entspannte Gespräche über das Leben und die Menschen und unsere Forschungen hier.
In Kakuma trifft sich die ganze Welt - ich habe hier Menschen von 5 verschiedenen Kontinenten getroffen von Libyen bis Australien, Indien und Pakistan über England in die USA.

Der Eingang zum Refugee Camp mit "Werbeschildern" vieler hier wirkender Organisationen
In Kakuma gibt es eine eigene Fußball-Liga, es gibt weit mehr als 18 Mannschaften im Camp.
Das gehört jetzt auch zu meiner Wochenend-Routine - die Kleidung ist sehr sehr staubig und mit Glück ist beim 3. Waschgang das Wasser ansatzweise klar geblieben

Es ist Regenzeit. Eigentlich. Der saisonale Fluss ist immer noch ausgetrocknet. Heute Nacht gab es 5 Minuten lang Regen – viel zu wenig. Und das zum ersten Mal seit Wochen. Wir warten, die Verzweiflung und Besorgnis wird größer. Alle wissen, dass es nicht kommen wird. Wieder nicht. Und irgendwie ist hier trotzdem noch Hoffnung auf ein Wunder. Die Hitze ist an manchen Tagen wirklich unerträglich. Eine Freundin meinte zu mir: „ If this is Kakuma, imagine hell!“

Die A1 durch Kakuma hat jetzt Laternen bekommen - Straßenbau funktioniert hier superschnell

Das Kakuma Wellness Center mit der Aufschrift - STOP DRUGS!
Abenddämmerung - um 19 Uhr ist es ganz schnell ganz dunkel

Sehr warme Grüße
Franzi

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