Feldtagebuch-aus-Kakuma
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Überfluteter See umgeben von Dürre

Veröffentlicht: 24.10.2022

Am letzten Donnerstag, dem 20. Oktober, war Heroes Day (in Kiswahilii Mashujaa Day). Das ist ein Nationaler Feiertag, an dem alle Held*innen gedacht wird, die Kenya 1963 zur Unabhängigkeit verholfen haben. Heute werden in Nairobi an diesem Tag herausragende Persönlichkeiten geehrt und privat feiert man auch seine eigenen Held*innen.

Mit einem Filmteam aus Nairobi und einer Freundin von der GIZ haben wir den freien Tag genutzt, um zum Lake Turkana zu fahren. Das ist ein riesiger alkalischer See, der viel viel größer ist als der Bodensee. In den letzten Jahren ist der Wasserspiegel immer weiter angestiegen, die genaue Ursache ist unklar, tektonische Plattenverschiebungen und starke Regenfälle vor einigen Jahren sind mögliche Gründe. Es hat mehr als 20.000 Menschen in die Flucht getrieben, weil ihre Häuser, Geschäfte… überflutet wurden. Der BBC hat dazu eine kurze 3-Minuten-Doku, schaut sie euch gerne an, die bringt es ziemlich gut auf den Punkt: https://www.youtube.com/watch?v=0MJfQ58Nn_Y

Das Bild dieser immensen Überflutung, während nur wenige Meter vom See eine der stärksten Dürren mit inzwischen 5 failed Regenzeiten herrscht, ist an Absurdität nicht zu übertreffen und stellt vor allem die Ziegenhirt*innen vor große Probleme, ihr Überleben und das ihrer Herden zu sichern.

Ich stehe weit im Wasser, wo vor ein paar Jahren noch Strand war

Mit einem “normalen“ Auto (im Reiseführer steht, man brauche einen Geländewagen) haben wir uns auf den Weg gemacht: Bis Lodwar sind wir auf der besten Straße Kenias gefahren (da waren sich alle einig), danach haben wir für die verbleibenden 60 km 3 Stunden gebraucht. Vorbei an vielen kleinen Dörfern mit Ziegenherden, an ein paar Eseln und Kamelen, an riesigen Termitenhügeln und auf der staubigen Hubbelpiste. Die Kenianer im Auto haben das „free african massage“ genannt, weil man ziemlich gut durchgeschüttelt wurde - sind wir in immer tieferen Sand gekommen, auf dem wir geschlittert sind bis wir dann zum ersten Mal stecken geblieben sind. Also haben wir den sehr heißen Sand mit unseren Händen und Plastikflaschen weggeschaufelt und das Auto angeschoben. Ein schwarzes Auto bei der Hitze anzufassen macht auch nicht sonderlich Spaß. Zum Glück hatten wir noch sehr viele helfende Hände, da auch ein Schulbus stecken geblieben ist, und die Jungs uns alle helfen wollten gegen Bezahlung. Bis wir dann an unserem Camping waren ist noch ziemlich viel Sand ins Getriebe gekommen und alle haben die Abkühlung im See gut brauchen können.

Ich glaub, das sind Termitenhügel
Ziemlich unscharfe Kamele, weil das Auto und somit ich so gewackelt hat
Endlich See in Sicht
Auch stecken geblieben

Wir waren erst kurz vor Sonnenuntergang da und mussten vor Sonnenaufgang um 5 Uhr schon wieder aufbrechen.
Für mich war dieser Ort so magisch schön und auch die Palmen im Wasser sahen auf den ersten Blick echt toll aus. Dass sie aber so nicht weiterleben können und am Ende nur totes Holz im See bleibt und es Lebensraum für Tiere, Pflanzen und Menschen zerstört, gibt dem Ganzen einen bitteren Beigeschmack. Ich habe im Wasser Bruchstücke von Fliesen gefunden, die zum Hotel nebenan gehörten. Meine Reisebegleiter, die das letzte Mal vor 3 Jahren hier waren, waren trotz dieser schönen Kulisse melancholisch, weil sie sich noch an die ewig weiten, breiten Sandstrände erinnern, von denen jetzt nur noch ein schmaler Streifen übriggeblieben ist. Wir haben am Strand gezeltet und den Abend unter einem wahnsinnig schönen Milchstraßen-Sternenhimmel verbracht.

Quelle von Eliye Springs - Süßwasser für die Region
Die Wurzeln der Palmen liegen durch den steigenden Seespiegel schon frei
ein Cliché-Touri-Bild
Dank Zelda hab ich in den letzten Tagen viel erlebt, sie hat mich immer ins Auto mit dem Filmteam gepackt und dann haben wir Turkana erkundet
Hier waren früher noch Hotelanlagen


Mark hat noch ein paar krasse Bilder gemacht
1 Minute nicht bewegen - der Wind hat meinen Rock verweht :D
Die Crew, verschlafen am nächsten Morgen
Der frühe Vogel. 5 Uhr oderso.

Am nächsten Morgen ging es vor Sonnenaufgang nach Lodwar, der Hauptstadt von Turkana County. Dort haben das Filmteam und ich als ihr neuer Line Producer (irgendwas Offizielles muss man ja in die ganzen Formulare eintragen) bei einer Konferenz über die Energie-Policy für Turkana County teilgenommen. Für mich war das sehr spannend für meine Forschung, da die Zukunftsstrategie hier sehr viel erneuerbare Energien enthält, um alle Menschen im größten „Bundesland“ versorgen zu können und Auswirkungen des Klimawandels immer mitgedacht wurden. Jede einzelne Energiemöglichkeit (Geothermie, Biomasse, Biogas, Solar, Windenergy, LPG…) wurde bis ins kleinste Detail analysiert und erklärt was bei der Umsetzung zu beachten sei. Da ging es auch viel um Sensibilisierung der Einwohner*innen, damit neue Energieformen gut angenommen werden und Infrastruktur nicht durch Vandalismus bedroht ist.
Es waren um die 50 Menschen im Konferenzraum, vor allem Anzugsträger und ein paar Frauen, die teilweise Abgeordnete im „Landtag“ in Lodwar sind , für Energiefirmen oder NGOs arbeiten. Das Ganze hat mit einem Gebet begonnen, viele Präsentationen vom technischen Beratergremium des Turkana County folgten, zwischendurch gab es auch kleine Rätsel, um die Konzentration aller zu fördern und am Ende konnten wir uns den Bauch vollschlagen. Die neuen Energieformen wurde so präsentiert, dass es nicht darum geht, Hilfe zu leisten für die Bevölkerung, sondern viel mehr als Business und Investitionsmöglichkeit, als Geldeinnahmequelle für Turkana County. Es gebe in Turkana eine Fülle an Mineralien, Öl, Sonne und Wind und das kann Reichtum bedeuten. Angesprochen wurde auch Geschlechtergerechtigkeit: Es braucht Wege, um zu tracken, dass Frauen genauso Zugang zu Energie haben wie Männer.
Ein Abgeordneter hat angemerkt, dass in Turkana alles Priorität hat: Wasser, Essen, Energie. Überall fehlt es an Finanzierung. Doch auf einmal viel Geld in ein großes Projekt wie den Einstieg in erneuerbare Energien zu stecken, könne sich mehr lohnen also viele Miniprojekte, die nicht viel bewegen.

kleines Gedächtnistraining zum Aufwachen (falls jemand die Lösung will, schreibt mir)
Essen unterm gigantischen Dach

In den folgenden Tagen habe ich das Filmteam  überall hinbegleitet, weil das für mich eine super Gelegenheit war, um in das Alternativcamp Kalobeyei zu kommen und dort sowohl Geflüchtete als auch die Hostcommunity zu treffen. Filmaufnahmen sollten die Umsetzung eines Energieprojekts zeigen, das durch die GIZ gefördert wird. Dabei geht es darum, durch Solarstrom alle Haushalte im Alternativcamp Kalobeyei und der dortigen Host Community versorgen zu können und durch die Filme zu erzählen, wie der Strom Menschen ermöglicht, ihr eigenes Business aufzubauen. Das kann die Inbetriebnahme von Kühlschränken in den kleinen Shops sein bis zu einem Cybershop, wo Menschen zum arbeiten oder vor allem Kinder zum zocken kommen. einer im Team hat Aufnahmen mit einer Drohne gemacht. Er hat oft hunderte Kinder damit angelockt, die sich alles ganz genau anschauen wollten. Dann wollten sie nicht mehr weggehen und es wurde schwierig, Interviews zu machen, während so viele Interessierte Menschen sich um uns und die Kamera versammelt haben. Ich durfte viele Hände schütteln und ein paar kleine Mädchen aus Kalobeyei haben mich gefragt, ob wir Freundinnen sein wollen.
Sieht so aus, als würde ich die ganze Zeit nur rumspazieren. Für meine ethnologische Forschung ist das aber ziemlich wichtig: Ich komme so im Feld an, mache mich mit der Umgebung vertraut, arbeite meine Leitfäden für die Interviews für verschiedenen Personengruppen aus und networke sehr viel, schaue welche Themen relevant sind und mit wem ich Interviews machen kann. Und während der langen Autofahrten versuche ich, ein bisschen Kiswahilii zu lernen.

Die Drohne lockt alle an
Unser Fahrer und Star-Fotograf
Drohne über Kalobeyei

Eigentlich sollte ich mal endlich erklären, wie genau Kakuma und Kalobeyei zusammenhängen und was ich den ganzen Tag hier mache, allerdings fahre ich morgen für 3 Tage ins Feld und wollte davor nur ein kurzes Lebenszeichen senden.

Die nächsten Tage bin ich nämlich mit der NGO Lokado (da, wo ich mein Praktikum mache) an der ugandischen Grenze, wo ein Training für Hirt*innen angeboten wird, wie sie durch klima-smarte Agrikultur und Agroforest-Projekte der Dürre trotzen können und neben ihren Ziegenherden anders Einkommen generieren können. So wurde mir das bis jetzt erklärt, nach den 3 Tagen bin ich bestimmt schlauer und berichte dann davon. Wir werden da zelten und müssen Wasser und Proviant für die nächsten Tage mitnehmen. Ich freu mich drauf, weil ich dann die Gelegenheit habe, mit der Host Community (also den Turkana) Interviews für meine Forschung durchzuführen, wie sie Klimawandel erleben und welche Wege der Adaptation und Mitigation es für sie gibt. Vor allem spannend finde ich, wie ihre eigenen „Wissenssysteme“ sie über die letzten Generationen resistenter gegen die Dürre gemacht haben. Darüber habe ich sehr lange mit der Producerin des Filmteams geredet, die seit 10 Jahren in Kenia Dokumentationen zum Thema Klimawandel macht, die in jeder Region war und immer viele Seiten einer Geschichte erzählen kann. Sie ist eine sehr inspirierende Person und ich bin sehr glücklich, dass ich die letzte Woche so viel von ihr und dem Rest vom Filmteam lernen konnte über ihr Heimatland und all die Menschen die sie portraitieren. Sie machen viele Projekte für NGOs, kommen an die spannendsten Orte und ich hab selten Menschen gesehen, die so sehr in ihrer Arbeit aufgehen und den ganzen Tag Spaß dran haben. Das war ein großes Glück, dass wir im gleichen Gästehaus gewohnt haben. Leider suche ich mir immer Freund*innen, die nicht für lange Zeit in Kakuma sind und so bleibe ich allein zurück ohne meine Filmcrew.

Gestern wurde ich noch sehr spontan mit auf eine kongolesische Hochzeit im Camp in Kakuma genommen. Es war das erste Mal, dass ich tief ins Camp reingefahren bin und ansatzweise die Ausmaße spüren konnte, wie riesig das ist. Es ist wirklich eine eigene Stadt mit Schulen, Gemeindezentren, Läden, Schneidereien, Restaurants, Kirchen, Spielplätzen, Krankenhäusern, … Wir kamen gerade an, als ein paar dem Brautpaar nahestehende Menschen auf die Bühne gekommen sind und ihnen Ratschläge für die Ehe, Glückwünsche und Ähnliches übermittelt haben. Ich war mit dem Leiter vom Jesuit Refugee Service aus Kakuma dort, der auch Grußworte sprechen musste. Plötzlich wurde mir das Mikro in die Hand gedrückt. Das war mir unangenehm, weil ich keine einzige Person kannte, nicht mal das Brautpaar und ich wirklich die letzte bin, die da hätte was sagen dürfen sollen. Meine 4 Wörter Kiswahili haben dann ausgereicht und ich durfte in den Hintergrund treten. Anschließend wurden verschiedene Gruppen aufgerufen, die tanzend Geschenke nach vorne getragen haben, erst die Familie der Braut, dann des Bräutigams und anschließend viele andere. Ich hab nicht alles verstanden, aber es war ein sehr fröhliches und ausgelassenes Fest. Die Eltern und Großeltern des Brautpaares wurden dann vom Paar mit Hochzeitstorte gefüttert und als gerade die große Festgesellschaft mit Essen versorgt wurde, mussten wir leider gehen. Nach 18 Uhr darf nämlich niemand mehr im Camp sein, der hier nicht hingehört.

Die Braut in glitzerndem Rot, die Trauzeugen tupfen dem Paar immer wieder den Schweiß ab
Es wurde viel getanzt
Die Hochzeitsgesellschaft
Geschenke werden nach vorne getanzt - Stoffe, Plastikwannen, spaßeshalber (?) auch ein paar Babys
Hochzeitsgäste

So das wars erstmal, ich hoffe der Herbst ist nicht zu grau und die Sonnenstrahlen von hier reichen bis zu euch!
Liebste Grüße
Franzi


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