Mit Geschichte(n) um die Welt
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Von der isländischen Minderheit, indigenen Völkern und Multikulti auf Kanadisch

Veröffentlicht: 12.08.2023


Es dauerte nicht lang, nicht einmal 24 Stunden und ich hatte das Gefühl, ich bin drin in der ukrainischen Welt in Winnipeg. Obwohl es 'die ukrainische Diaspora' gar nicht gibt; wie eigentlich immer, wenn man irgendwo genauer hinschaut.

Hier gibt es eine 'Lviver Gruppe', die als eher kommunistisch gilt - hat historische Gründe, u.a. mit deren Einwanderung in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen, das wird hier aber zu viel. -  Trotzdem: mit dem klassischen Vorurteil der patriotischen Westukrainer passt dies wenig zusammen. Es gibt auch die “Kyiver Gruppe”, die - wie mir erzählt - wesentlich größer sei und ganz anders ticke. Und daneben noch sehr, sehr viele andere.

Trotzdem oder gerade deswegen fühle ich mich sehr absorbiert und die vergangenen Wochen habe ich - neben enormen Wühlen in Archiven - damit verbracht sehr (!) viele Leute zu treffen. Und dabei kannte ich hier vor Ort eigentlich zuvor niemanden.

Winnipeg hat in Kanada nicht unbedingt den besten Ruf. Es gilt als eher provinziell, abgeschieden, als eher langweilig - gerade im Vergleich zu Toronto oder der Westküste. Viele Externe verirren sich hierher nicht und schon gar nicht für eine etwas längere Zeit. Es ist kein Tourismusmagnet und hat auch keinen Bekanntheitsgrad wie Vancouver (als eine der lebenswertesten Städte der Welt).

Das Drumherum, der Bundesstaat Manitoba, sind zwar nicht nur, aber doch sehr viel Fläche und riesige Felder. Die Prärien, der nordamerikanische Teil der Steppen, gehören auch zu den eher unspektakulären Landschaften in Kanada - auch wenn ich im Manitoba Museum gelernt habe, dass die Prärien, die dortige Vegetation und Tierwelt wie vor allem Insektenarten sogar bedrohter sind als der Regenwald und somit schon sehr noch viel Unentdecktes und Unbekanntes zu bieten haben. Landschaftlich aber haut das einen nicht sehr um. Hier fährt man eher durch, wenn man eine Cross-Canada Tour, Querdurch-Kanada-Reise, macht. Warum anhalten? "Fahr unbedingt auch woanders hin", hörte ich nicht nur einmal, und auch öfter hier in Winnipeg selbst.

Im Hintergrund das Human Rights Museum, das Museum für Menschenrechte.

Sei es drum, was Leute sagen: mir gefällt diese Stadt und all die Leute, die ich hier bisher kennenlernen konnte. Ich fühle mich hier ziemlich wohl. Ich empfinde die Stadt und den warmen, eigentlich heißen Sommer als sehr entspannt - im Winter möge das sehr anders sein, denn hier werden es locker mal 40 Grad Minus. Manitoba und Winnipeg als Großstadt ist neben seiner (vermeintlichen) Provinzialität vor allem für den langen und harten Winter bekannt und somit von vielen eher gemieden.


Vom Kennenlernen von Leuten

An den hiesigen Unis gibt es einige Leute, mit denen ich mich austauschen wollte und auch auf der Suche nach Abwechslung von meinen langen Archivaufenthalten war.

Unmittelbar nach meiner ersten Anfrage bei einem Wissenschaftler, kam die Frage zurück ob ich Baseball möge. Ich war etwas verwundert und meinte ehrlich, dass ich keine Ahnung hätte. Schwupps befand ich mich bei der ukrainischen Nacht der hiesigen Baseballmannschaft und wenn mal nicht gespielt wurde - was beim Baseball oft vorkommt - dann wechselten sich ukrainische Tänze auf dem Spielfeld mit Gesprächen mit meinem Nebenmann über die ukrainische Diaspora, den Zweiten Weltkrieg und alles mögliche ab.

Vielleicht liegt es an meinem tollen Thema, doch vielleicht aber auch eher daran, daß Sommer ist und die Leute, die vor Ort sind Zeit haben. Oder, dass ich mit Menschen, die sich mit den 'Rändern der ehemaligen Sowjetunion' beschäftigen, sehr oft auf Anhieb sehr gut auskomme und es oft sehr gut auch menschlich passt.


Gimli, New Iceland und das isländische Kulturfestival 

Am letzten Wochenende bin ich dadurch auch nach Gimli gekommen, zum Icelandic Festival, dem isländischen Festival. Ich fand es passend, da ich vor einem Monat in Island auf Mehrtageszwischenstopp war. Eine Fahrt nach New Iceland, Neuisland, als weiterer Zwischenstopp fand ich irgendwie folgerichtig.


Straßenumzug mit allem was zu Island gehört, darunter auch ein "Wikinger-Schiff".

Mitgenommen haben mich Alex und Kristjan. Letzterer bezeichnet sich als “Icekrainian” - in Deutsch so etwas wie “Iskrainer”, zur Hälfte isländische, zur Hälfte ukrainische Wurzeln, geboren in Kanada. Dies sei hier eine häufige Mischung, denn beide Gruppen seien im letzten Jahrhundert viel in der Landwirtschaft tätig gewesen und so traf man sich hier in Manitoba.

Gimli liegt direkt am See Winnipeg. Die Region um New Iceland erstreckt(e) sich etwa auf 58km entlang des Sees und bis zu 16km ins Landesinnere.

New Iceland war im 19. Jahrhundert ein absolutes Kolonialprojekt. Die einheimische Bevölkerung wurde verdrängt und vertrieben und vor allem weiße Bevölkerung angesiedelt. Gerade Menschen aus Island - helle Hautfarbe, viele weißblondes Haar - galten den Kolonialherren vor Ort als eine der beliebtesten Einwandergruppe für die Region. Schon im Name New Iceland, Neuisland, sollte und wurde auch sprachlich die Kolonialsicht deutlich: in der Region gäbe es nichts zu bewahren, Land sollte erschlossen, Menschen angesiedelt werden. Als vor allem die isländischen Familien kamen, brachten sie die Pocken mit. Dies raffte die einheimische Bevölkerung - von denen es viele Gruppe hier gab - (zusätzlich) dahin. Der Kolonialmacht kam das nicht ungelegen und es folgte ein regelrechter Bevölkerungsaustausch. Mehr als 100 Jahre wurden zudem Kinder der indigenen Gruppen regelrecht geklaut. Viele bewerten dies alles als Völkermord, auch mittlerweile der Papst.

Heute versucht Kanada das irgendwie aufzuarbeiten. Es wurden zwar Verträge mit indigenen Gruppen im 19. Jahrhundert geschlossen, doch die Tinte war noch nicht einmal getrocknet und vieles wurde nicht eingehalten. In weiten Teilen des Landes wurden bis weit in die 1990er Jahre hinein indigene Kinder zum Beispiel in christlichen Schulmissionen, eine Art Internat, unter absolut unwürdigen Bedingungen 'erzogen'. Immer wieder wurden in den vergangenen Jahren verscharrte Kinderleichen in der Nähe solcher kirchlich getragenen Einrichtungen gefunden. (Hier ein kürzerer Beitrag vom Deutschlandfunk dazu.)

Seit etwa den 1980er Jahren wurden die Selbsthilfegruppen stärker und deren Protest auch mehr gehört. Es gab dann auf hohen Druck der indigenen Bevölkerung in Kanada eine staatlich eingerichtete “Wahrheits- und Versöhnungskomission” (2008-2015), die mehr Licht ins Dunkel brachte, doch es dauert lange und viele strukturelle Probleme halten bis heute an. Es gibt ein paar Denkmäler, ein paar Museen, einen Gedenktag, Bücher und in der Öffentlichkeit wird zunehmend mehr über diese traumatische Geschichte gesprochen.


Ein sehr beeindruckendes Buch und nochmals vielen Dank dafür an Johanna!

Die Diskussion bleibt aber, ob es nicht auch hier - wie oft auch in Deutschland - eher ein Versöhnungstheater ist. So beginnt die Festveranstaltung in Gimli beim isländischen Festival auch damit, dass als erstes öffentlich verkündet wird, dass das Land, auf dem man sich befinde, das Heimatland verschiedener indigener Völker und Nationen sei. 

Ein symbolische Akt, zwei, drei Sätze, der seit ein paar Jahren bei allen öffentlichen Veranstaltungen und in allen öffentlichen Einrichtungen angesagt wird; man findet den ähnlichen Hinweis auf Webseiten, in Museen, in Emailsignaturen. Eine Symbolik und wie es so ist, nimmt die Aufmerksamkeit dafür mit der Zeit recht schnell ab, ich merke es selbst bei mir nach vier Wochen im Land, einer ganzen Reihe von Museen und Veranstaltungen hinter mir.


Die Stadt in Gimli, am letzten Tag des Festivals ist rappelvoll. Das Highlight steht an: Straßenumzug und Krönung der fjallkona, einer Art Festivalkönigin. Dies findet nun bereits zum 134 Mal statt.

"Ja, kultureller Kitsch ist es schon", erzählt mir Kristjan, "aber eben auch nicht nur". Es erinnere auch an Kindheit, an das Aufwachsen in Gimli, wo sich die größte isländische Community außerhalb Islands befindet.

Im Archiv der University of Manitoba in Winnipeg, etwa 90km von Gimli entfernt, befindet sich eine große Sammlung zu Island, der Sprache und Geschichte. Dinge, die es selbst in Island (heute) nicht mehr gibt, sind hier aufgehoben. An der dortigen Uni gibt es selbst eine Fachbereich für isländische Sprache und Literatur.

Die Wikinger-Statue in Gimli.

Die Verbindungen zwischen Gimli und Island sind so stark, dass es gut vorkommen kann, dass wenn auf Island gefragt werde, wo man als Winnipegger herkomme, sagen müsse: Winnipeg bei Gimli und nicht umgekehrt. Winnipeg hat etwa 750.000 Einwohner, Gimli, wenn es hochkommt, 5.000.

Einmal Eintauchen in die isländische Migrationsgeschichte nach Kanada.

Was ist das isländische Kulturfestival? Ein Zusammenkommen an Menschen, die zum großen Teil irgendeinen Bezug zu Island haben. Musik, Tänze und vor allem Essen und Trinken. Seit letzter Woche läuft in Winnipeg das zweiwöchige und jährlich stattfindende multikulturelle Festival Folklorama

Dies läuft ähnlich ab. Ich habe zwar bisher nur den “Lviver Pavilion” ausprobiert, doch es hat den gleichen Kern: ein kulturelles Programm von maximal 30 Minuten, dazu das jeweils typische Essen und Trinken. Bei einem sehr guten ukrainischen Bortsch und einem Lvivske wurden auf der Bühne Wintertänze performt. Es war gut, keine Frage - aber trotzdem auch irgendwie so irritierend: Eine ukrainische Tanzgruppe im “Lviver Pavilion”, die innerhalb der Community als Kommunisten gelten, mit einem Lvivske in der Hand, das ich in Lviv selbst stets gern getrunken habe, nun bei 30 Grad Außentemperatur in einer heruntergekültigen Halle in Kanada zu sitzen und einem Winterprogramm zuzuschauen. Es bringt mich immer noch zum Lachen.


PS: In Gimli gibt es Pelikane!

(Leider ohne Foto, wir haben uns verquatscht und dann war er weg.)

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