Mit Geschichte(n) um die Welt
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Toronto Holocaust Museum

Veröffentlicht: 25.07.2023

Das Toronto Holocaust Museum ist wohl das Neueste seiner Art weltweit. Eröffnet wurde es vor etwas mehr als einem Monat, Anfang Juni 2023. Die dortige neue Dauerausstellung stand somit sehr weit oben auf meiner „Was-möchte-ich-anschauen-Liste“.

Das Museum ist etwas weiter draußen, außerhalb der Downton Toronto. Ich brauche von meinem Stadtteil ganze 90 Minuten dorthin. Das liegt aber auch am öffentlichen Nahverkehr bzw. dem nordamerikanischen Hang, ja Liebe zu Straßen, Autobahnen und Autos. Mit dem Auto ist man in 40 Minuten da. Ich nutze also wieder einmal die Fahrt mit einem Fahrdienst, um mit den Fahrern zu quatschen. Irgendwie habe ich immer nur männliche Fahrer - war auch so in den USA 2021/22. Die Gespräche sind oft spannend und viele Fahrer sind nicht nur Uber- oder Lyft-(=Fahrdienst-)Fahrer sondern machen auch noch was anderes, müssen noch was anderes arbeiten. Oft sind die Fahrer sehr gesprächig. In den USA habe ich viel über das Land und Leben dort durch die Fahrer gelernt, daher: wenn es wesentlich einfacher ist mit dem Auto, nehme ich einen Fahrdienst gern, wenn auch teurer.

Aber nun zum Toronto Holocaust Museum. Die Räumlichkeiten befinden sich im Jewish Community Center, dem jüdischen Gemeindezentrum. Sporthalle, Café, Büros und das Museum mittendrin, auch architektonisch ist es so eingerichtet. Das Holocaust Museum inmitten des heutigen, vielseitigen jüdischen Lebens in Toronto. Es sind Sommerferien in Kanada und verschiedene Ferienprogramme laufen, es ist nicht unangenehm laut, aber es gibt eine gewisse Grundgeräuschkulisse, Stille herrscht hier wohl eher nie. Außerdem riecht es im ganzen jüdischen Zentrum nach frisch gebackenen Keksen - in der Lobby gibt es guten Kaffee und etwas zu essen.

Das Toronto Holocaust Museum ist nichtstaatlich und wurde vor allem durch Spenden aufgebaut. Aus diesem Grund begrüßt den Besuchenden neben einer etwa zwei Meter großen Videostation mit kurzen Ausschnitten von Überlebenden eine digitale Wand mit Kurzgeschichten der Spender:innen und deren Beweggründen zur finanziellen Unterstützung.

Kern der Ausstellung sind die Stimmen der Überlebenden, die präsent in den vier kleinen Teilbereichen dargestellt sind. 

Die Videoscreens mit Erinnerungen von Überlebenden.

Die Videostationen sind sehr toll gemacht, vielseitig von den Themen und sehr ansprechend gestaltet, dazu schön kurz von maximal 1,5 Minuten Länge. Lediglich russischsprachige Juden und Jüdinnen, die aus der Sowjetunion kamen, fehlten überwiegend. An vielen Stellen habe ich mich gewundert, dass nicht mehr direkte Stimmen zur und aus der Sowjetunion eingeflossen sind – denn auch die russischsprachige, ehemals sowjetische jüdische Community in Nordamerika ist groß. Oft wird auch innerhalb der jüdischen Gemeinden kritisiert, dass deren Perspektiven zu wenig gehört werden. Wie mir Rachel, eine der Kuratorinnen, sagte, gäbe es genug Interviews, doch diese seien vor allem auf Russisch und müssten erst übersetzt und auf die Ausstellung hin ausgewertet werden. Die digitale Umsetzung ließe nun vieles zu und somit seien diese russischsprachigen jüdischen Stimmen ein Zukunftsprojekt.

Wenn ich „neue Dauerausstellung“ schreibe, so trifft es dies eigentlich nicht ganz. Im Grunde genommen sind es sogar mehrere. Jeder Besuchende bekommt ein Tablet in die Hand und darauf können zusätzliche Schichten der Ausstellung mit Hilfe von AR, augmented reality, sichtbar gemacht werden. Mit den Tablets aus der Gedenkstätte Bergen-Belsen und der dortigen Umsetzung – bereits seit vielen Jahren dort im Einsatz – habe dies jedoch nichts zu tun, erzählte mit Rachel. Bei den Kuratorinnen in Toronto sei von Bergen-Belsen in diesem Zusammenhang nichts bekannt, ohnehin haben sie eher Kontakt mit israelischen und kanadischen Museen, mit Einrichtungen in Deutschland eher weniger. Die Idee zu der AR-Umsetzung hatte die Grafikdesignfirma.

Augmented Reality in der Ausstellung

Für mich persönlich war das zusätzliche Tablet zwar spannend, doch eher ablenkend. Darin befinden sich weitere kleinere Ausstellungen, die ein Zusatz zur analogen Ausstellung sind. Im Grund genommen ist der Rundgang mit dem Tablet ein eigener Rundgang, unabhängig von der Dauerausstellung. Rachel berichtete von ersten Tests mit Schülerinnen und Schülern vor den Sommerferien und kurz vor der offiziellen Eröffnung. Die Rückmeldungen seien sehr gut gewesen. Schmunzelnd gibt sie aber gleich hinterher, dass sie sehr voreingenommen sei, es positiv und eigentlich nicht (mehr) wirklich objektiv bewerten könne. Nach Rachels Einschätzung falle jedoch auf, dass vor allem ältere Besuchende die analoge Ausstellung bevorzugen. Die Videostationen funktionieren jedoch für alle sehr gut. Diesen Eindruck hatte ich auch; - auch wenn ich nur vier weitere Besuchende beim Ausstellungsbesuch beobachten konnte.

Die Ausstellung ist nicht groß: vier halbrunde Ausstellungsräumlichkeiten, die den Besuchenden eine intimere Lernatmosphäre geben, die zum “Eintauchen” ins Thema anregen soll. Von den vier halbrunden, halboffenen Räumen ist einer ein kleiner Kinosaal. Zwei Filme, je nach Alter ausgewählt, sollen die Besuchenden ins Thema einführen. Für Erwachsene geht es vor allem um Deutschland in den 1920er und 1930er Jahren. Durch die Videoprojektion führt eine digitale Umsetzung einer jungen Kollegin des Museums.

Interessant fand ich die kurzen Gespräche mit Freiwilligen, die auch hier arbeiten. Zumeist sind es Kinder von Überlebenden, heute sind sie etwa 65+. In der insgesamt eher kleineren Ausstellung gab es an dem Tag als ich dort war vier Freiwillige. Alle hatten großes Interesse an Gesprächen mit den Besuchenden, wiesen auf ihre Ausstellungshighlights hin oder erzählten ihre eigene Familiengeschichte. Ein spannender Kontakt, doch ich könnte mir vorstellen, dass dies auch die eigentliche Ausstellung etwas (zusätzlich) überlagern kann. Rachel erkundigte sich als Erstes, wie es mir damit gegangen ist und was daran an positiven und eher kritischen Rückmeldungen bereits gekommen sei. Mir hat es gefallen und es passt gut zu der persönlichen Atmosphäre, die die Kuratorinnen schaffen wollten.

Besonders spannend für jemanden, der sich mit der kanadischen Geschichte nicht so auskennt, fand ich die Zusatzinfos „Meanwhile, in Canada“ – „Währenddessen in Kanada“, in denen über die Situation in Kanada während der jeweiligen Ausstellungschronologie berichtet wurde.

Wie Chefkuratorin Rachel Liebman auch erzählte, hat das Team bewusst die Ausstellung nur auf Englisch erstellt. Dadurch ist es textmäßig überschaubar. Wäre es ein staatliches kanadisches Museum, so wäre dies nicht möglich gewesen. Da in Toronto aber fast ausschließlich Englisch gesprochen wird, wollten sie die französische Ausstellungsvariante lediglich digital umsetzen. Davon steht derzeit ein größerer Teil noch aus. Als nichtstaatliches Museum können sie dies selbstbestimmt entscheiden.


Nachtrag:

Museen besuchen in Kanada ist ein teurer Spaß: Ein Ticket kostet locker umgerechnet 10 oder 15 Euro. Eine ICOM-Mitgliedschaft für Museumsmitarbeitende ist zwar auch nicht ohne, in Deutschland kostet diese 100 Euro pro Jahr, doch ermöglicht sie in den meisten Museen weltweit freien Eintritt. In Kanada lohnt sich die ICOM-Karte ungemein.

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