Mit Geschichte(n) um die Welt
Mit Geschichte(n) um die Welt
vakantio.de/mitgeschichteumdiewelt

Von 36 Stunden Shanghai

Veröffentlicht: 16.05.2024

Das ist mal so ganz anders als ich mir das vorgestellt habe. Shanghai erscheint mir vor allem ruhig. Autos, Roller, Busse sind meist Elektro; kaum Hupen, selbst die Ampeln machen keinen Mucks. 
Ich höre sogar Vogelgezwitscher. - In meiner Vorstellung, die auf gnadenloser Unwissenheit und zumeist Ignoranz gegenüber China beruht, war Shanghai ein riesiges Gewimmel, Stau, irgendwie ein chaotisches Durcheinander, sehr laut, viele Menschen.Shanghai ist die größte Stadt Chinas - und einer der sehr wenigen chinesischen Städte, die ich überhaupt beim Namen kenne. Shanghai soll auch eine der größten Städte der Welt sein, wohl etwa 30 Millionen Menschen leben hier. Allein in Shanghai leben somit mehr Menschenals in ganz Australien. Lärm, Menschen, unbekannte Gerüche waren da in meiner Vorstellung ohne Frage Teil von Shanghai.
Aber das ist es nicht, jedenfalls nicht nur.

Nach über 12 Stunden Flug von Auckland habe ich nun etwa 36 Stunden in dieser Metropole. Die Zeit möchte ich nutzen, vor allem um das Jüdische Flüchtlingsmuseum und das ehemalige jüdische Viertel in Shanghai anzuschauen. Das ist auch das einzige, was ich über Shanghai weiß. Die Stadt war während des Zweiten Weltkrieges ein sicherer Hafen für jüdische Menschen aus Europa, besonders Deutschland und Österreich. Viele lebten hier bis in die ersten Nachkriegsjahre. Auch sie galten zum großen Teil als Displaced Persons. Dazu mehr im nächsten Post!

Ein Großteil der Uferprommenade in Shanghai ist ein großer zusammenhängender Garten; Bäume, Blumen und Blüten in voller Pracht, dazu 26 Grad, die Sonne strahlt, es ist warm. 


Ich lass mich etwas treiben von meinem Hostel in der “Nähe” des Oriental Towers, den bekannten Fernsehturm. Laufen, laufen, laufen.

Ich suche nach Smog, ist schließlich China, denke ich vorurteilsbehaftet. Da ist schon was, aber nicht übermäßig, sagt mein Auge, bestätigt mein Geruchssinn. Das kenne ich zum Beispiel aus Südosteuropa viel schlimmer, vergleiche ich und denke nach welche Metropolen ich noch so kenne. So eine Ruhe wie an dieser Uferprommenade habe ich kaum in Erinnerung zu einer anderen Stadt mit diesem Kaliber. Singapur ist in meiner Vorstellung vor allem unfassbar sauber. Ruhe hätte ich mit Singapur nicht verknüpft. LA blieb mir nervig, laut und vor allem dreckig im Kopf. Moskau, New York,... Mh. Diese Ruhe entlang des Flusses in Shanghai erstaunt mich und wenn ich googeln könnte, würde ich jetzt gern mehr über die Stadt lesen. Ohne vpn client funktioniert das aber nicht. (vpn: ein besonderer Servicezusatz um auch die blockierten Websites wie Google zu nutzen, versuche ich das mal zu umschreiben).

Auf dem Fluss Huangpu herrscht ein ziemlicher Betrieb; ein großes Schiff nach dem anderen, aber auch das ist eher geräuschlos. Sauber ist der Fluss sicher nicht, aber auch nicht überwiegend dreckiger als die Elbe, sagt mein unprofessionelles Auge. 


Ich kann kein Wort Chinesisch, kenne mich Null aus und stehe vorm ersten Metroplan schon auch schmunzelnd: 
Ja, okaaay. Das wird spannend!
Zumindest kann ich auf meine Orientierung vertrauen. “Das wird schon”, sage ich mir selbst und weiß, dass ich mit Orientierungssinn zu einem großen Teil gesegnet bin. Google Maps funktioniert nicht in China (ohne VPN Client). Ich habe also wie vor etwa 15 oder 20 Jahren meinen Weg zum Hostel ausgedruckt sowie ein Foto vom Eingangsschild, den Weg weiter zum jüdischen Museum und meine Buchungbestätigung auf Englisch und  Chinesisch/Mandarin.


Schon aufregend - aber auch sehr lustig. Ich glaube, besser zu verstehen, wie für Leute das Reisen in Ländern mit zum Beispiel kyrillischer Schrift ist. Als ich zum ersten Mal in Russland war mit 15 konnte ich zumindest schon etwas lesen. So fremd war das für mich nicht. Mir kommt in Erinnerung, dass ich mal bei einem Schüleraustausch in Perm am Ural die Einzige in der deutschen Gruppe war, die Russisch lesen konnte: wo was ist, wo es zum nächsten Klo geht, wie die Straße heißt, auch mal jemanden Fragen, Bitte und Danke sagen. Die Fremde, die damals die anderen beschrieben, fühlte, sah, ja bemerkte sie nicht so stark. 

Hier in Shanghai und Jahre später: absolut, quasi blind zu sein und nicht lesen, nucht verstehen zu können, das macht das Reisen doch sehr anders. Man fühlt sich, ich fühle mich fast schon etwas dumm, aufgeschmissen, irgendwie klein(er) und eben abhängig von anderen, von deren Sprachkenntnisse und vor allem Geduld und Hilfsbereitschaft. 

Ich bin zwar nicht nervös oder habe gar Angst, merke aber, dass ich angestrengt, angespannter bin als sonst beim Reisen. Meine Unabhängigkeit und damit dem einfachen Eintauchen in ein anderes Land habe ich hier zumindest etwas am Flughafen zur Aufbewahrung abgegeben.
Mit Bargeld bezahlt kaum jemand in Shanghai. Visakarten werden an eher wenigen Orten angenommen, wenn dann bei den Touristenfallen. Mensch bezahlt hier mit wechat oder alipay, mit Apps auf dem Handy. Ich hab mir im Vorfeld wechat runtergeladen, da ich über viele Ecken jemanden nur per Email kenne, der jemanden kennt, der Stadtrundgänge zum ehemaligen jüdischen Ghettogelände anbietet. Dieser hat aber eben nur wechat, Whatsapp, einige Mailprogramme funktionieren, wie gesagt, ohnehin nur eingeschränkt. 

Hier nutzt man also wechat. Die App kann auch zum Zahlen herhalten. Runterladen muss jedochvorher passieren, da auch Google Playstore (natürlich) nicht funktioniert. Ok, das hab ich vor der Abreise gemacht. Ich fühle mich sicher. Ich lese noch vor ein paar Tagen, dass Wechat dann in China auf quasi magische Art und Weise, die App-Funktion zum Bezahlen erhält, außerhalb Chinas werde diese nicht angezeigt. "Ok", denke ich, "alles gut". Mich bestärkt meine schnelle Internetsuche. 



Fehler.



Stellt sich heraus als ich da bin. 


Ich muss etwas über mich selbst lachen. Jaaa, okaaay. “Dat wird spannend, Sarah”, denke ich. 

Wechat funktioniert zum Bezahlen nur mit chinesischer Sim-Karte, wie mir umständlich jemand im Hostel übersetzt. “Einfach Alipay nehmen, das ist besser.” ist der Tipp. Ok, dann lade ich eben diese andere App runter. 

Mh, funktioniert nicht.

Bin verwirrt.

Die Seiten laden nicht.


Mir dämmert, dass ich zum Download nur Google Playstore auf meinem Handy habe und das wiederum funktioniert nicht… Auch das hätte ich außerhalb von China herunterladen müssen. Nicht einfach...

Das wird nun also eine größere Reiseherausforderung. “Gut, dass ich ein paar Müsliriegel dabei habe”, denke ich. Schade um das chinesische Essen, das ich kosten wollte und die Propierliste, die mir eine Reinigungskraft aus Shanghai am Flughafen von Auckland geschrieben hat. “Anfängerfehler”, denke ich. Ich muss ein bisschen lachen, dann ärgere ich mich kurz, dann geht es eben auch ohne. Wird schon. Metrotickets kann man mit Visa bezahlen und an den richtigen Tourifallen auch, das Hostel ist bezahlt. Diese 36 Stunden sollten sich also ok überleben lassen. So sitze ich extrem übermüdet mit einem großen Kaffee von Starbucks und meinen neuseeländischen Müsliriegeln in Shanghai. Anders als in meiner Vorstellung,  jedenfalls.


Meinen sehr langer Spaziergang, fast schon Marsch, führt mich entlang des Ufers. Dann durch einen “Touristtunnel” mit kitschigen Lichteffekten und Musik auf die andere Seite, dem sogenannten Bund entlang und immer weiter kreuz und quer durch die Stadt.

Meine Füße tun weh, ich bin müde, es ist heiß. In ein paar Kilometern bin ich am Jüdischen Museum, rechne ich mir halbwegs aus. Na gut, dann nehme ich das auch heute schon mit. (Zum Museum: nächster Post)

Ein chinesischer Museumsbesucher etwa mein Alter ist offensichtlich begeistert mich als "Westlerin" im Museum zu treffen, dann auh noch aus Deutschland. Er will mit mir sein Englisch verbessern. Als ich später von einem Kaffee ins andere laufe und nachfrage, ob ich auch mit Visa bezahlen könne, wird immer wieder freundlich verneint. 

Seit einiger Zeit hat das Weiße Rösl im ehemaligen jüdischen Viertel wieder geöffnet. Während des Zweiten Weltkrieges war es ein zentraler Treffpunkt der gerade deutschsprachigen Juden und dann Staatenlosen in Shanghai.

Foto aus dem Jüdischen Flüchtlingsmuseum.

Das Café ist auf Touristen aus "dem Westen" ausgelegt, meine letzte Chance für einen Kaffee. Doch auch dort Fehlanzeige. Visakarten werden nicht angenommen. Ich gebe auf. Ich gehe und sehe meine Museumsbekanntschaft. Er bekommt mit, was mein Problem ist, schüttelt mit dem Kopf, lacht und lädt mich auf einen Kaffee ein; fragt, ob ich noch ein bisschen mit ihm Englisch spreche. 

Er betont immer wieder, dass Shanghai nicht China sei und sehr anders, sehr offen, sagtver immer wieder, gegenüber Ausländern, gegenüber Neuem. Er würde in China nirgendwo anders leben wollen. Das sagt mir auch ein Bekannter eines weitentfernten Bekannten, der seit über 25 Jahren in China lebt, ursprünglich aus den USA. Erst lebte er in Beijing, nun in Shanghai. Es gäbe keine andere Metropole, die so viel zu bieten habe, erzählt er, kulturell, geschäftlich, menschlich. Shanghai sei der Ort an dem man leben wolle.

36 Stunden sind natürlich nicht genug. Es gäbe noch sehr, sehr viel zu erkunden, gerade auch zu den verschiedenen Stadtvierteln, die ihre ganz eigene Geschichte von Besatzung(en) und Kolonialismus haben.


Asien hat mich nie so wirklich als Reiseziel angelacht, doch einen nächsten Zwischenstopp würde ich wieder einlegen, gerade wenn der Reiseweg so lang ist, sind eins, zwei Nächte auf dem Weg extrem angenehm! 

Zudem kann ich China Southern als Airline empfehlen, die bieten seit Kurzem sehr günstige Flüge zwischen Europa und Down Under über China an. Warum nicht den Umstieg nutzen?

Befremdlich nur: ich meine, ich war noch nie mit einer Fluggesellschaft unterwegs, die Sicherheitskräfte im Flugzeug und auf der Reise dabei hatte und die immer mal wieder auf Patrullie gehen…

Was mir noch so auffällt in Shanghai in Stichworten:
  • Überall (!) sind auffallend viele Kameras
  • Überall gibt es auffallend viele Verbotsschilder
Mein Favorit: keine Fische aussetzen.

PS: Shanghai ohne Bezahlapp ist machbar, aber nicht zur Nachahmung empfohlen!

PPS: Im Securitybereich des Flughafens ist Visabezahlung überall möglich und ich konnte mich noch etwas durchprobieren. Die Tipps der netten Reinigungskraft vom Flughafen in Auckland, gebe ich gern weiter:
Die Sojamilch, ob kalt oder warm, ist WIRKLICH gut! Das war ihr am wichtigsten, dass ich die versuche. "Nicht mit der Sojamilch außerhalb Chinas zu vergleichen", betonte sie mehrfach.
Antworten

China
Reiseberichte China