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Radeln durch Großstädte und viel, viel Hinterland - Indien III

Veröffentlicht: 14.03.2024

Indien ist intensiv. Indien beschönigt nichts. Indien ist liebevoll und grausam. 

Indien fordert und zeigt uns seine Schönheit wie seine Hässlichkeit. Hier wird man in einem Moment verzaubert und im nächsten ist es, als bekäme man einen Kick in die Kniekehlen und verliere dabei die Standfestigkeit.

Das sollen wir in den Wochen des ausklingenden Winters zusehends erfahren. 

Jedes Mal aufs neue erwischt mich, erwischt uns, diese Erkenntnis kalt: Indien ist sowas von intensiv und passt in keinen Rahmen.

Mitte Jänner verlassen wir die Ruhe und den Zauber Hampis. Die Begegnungen und neu gewonnenen Erinnerungen haben wir ins Herz gepackt. Was nun vor uns liegt ist ungewiss und neu. 

Zum ersten Mal seit wir dieses Land bereisen, betreten wir neue Pfade.

Es soll Nordwärts gehen. Der ursprüngliche Plan in den Nordosten zu radeln wird aus verschiedenen Gründen übern Haufen geworfen. Wir bleiben im Westen des Landes und suchen uns hier eine Route Richtung Nordindien um von da im Sommer nach Nepal zu kommen.

Ende Jänner rollen wir über die Grenze zwischen den Bundesstaaten Karnataka rauf nach Maharashtra. Dort scheint alles grüner, sauberer und größer zu sein.

An allen Ecken, zu allen Pausen und auch zwischendurch vom Fahrrad aus, ergibt sich das eine oder andere Pläuschchen. Die Frage nach dem Woher und Wohin ist meist schnell geklärt. Die Frage nach dem Warum hängt oft von Schweigen gefolgt in der Luft. Ist es doch weder eine Pilgerreise noch ein Familienbesuch, warum wir hier durch die Gegend reisen.

Das Klima ist mittlerweile angenehm zum Radeln. Es ist trocken und weniger heiß.

Die Strecke führt uns über die Städte Pune und Nashik Richtung Gujarat. Ein Bundesstaat in den wir beide bisher noch keinen Fuß gesetzt hatten. 

Doch zuvor kommt es noch zu vielen Begegnungen, einem Wiedersehen und einem Roadtrip per Auto:

Über die Plattform von Warmshowers* finden wir in Pune für ein paar Tage Platz bei Kedar und seiner Familie. Selbst Radfahrer, weiß er was wir brauchen.

Als wir uns 2 Stunden den Weg zu seiner Wohnung durch den Großstadtverkehr bahnen, fühle ich mich am Ende initiiert.

Wenn das Radeln zwischen all den Autos, Motorrädern, Rikshas und Fußgänger:innen zu schaffen ist, und wir selbst mit Bussen ein Auskommen finden, ohne an deren Stoßstange zu enden, können wir überall fahren. 

Es geht bloß darum im richtigen Moment entschlossen zu schauen, dann und wann den Blick nicht abzuwenden, ordentlich in die Pedale zu treten, an der Ampel (ja, die gibt es in Indiens Großstädten und sie wird mehr oder weniger beachtet) ein nettes Pläuschchen mit dem Fahrer des stärkeren Gefährts zu suchen um sich die Vorfahrt zu ergattern und immer, wirklich immer zu fahren. Nur nicht zögern, niemals zögern. Und schon gar nicht anhalten.

Fix und fertig kommen wir bei unserem Gastgeber an. Wir werden umsorgt und verhätschelt und herzlich in eine ausgesprochen liebe Familie aufgenommen.

Von hier aus machen wir per Autobus einen Kurzbesuch übers Wochenende ins nahe Mumbai zu Cousine Deepa. Bevor wir dem Süden Indiens endgültig den Rücken kehren, wollen wir noch einmal ein bisschen Familie um uns haben… der Abschied ist etwas wehmütig. Wir wissen, bis wir uns wieder sehen, wird viel Zeit vergehen.

Zurück in Pune packen wir erneut nur ein kleines Täschchen und begeben uns mit Kedar und seinem Freund Braveen auf einen Roadtrip mit dem Auto zu den bemerkenswerten Höhlen von Ellora** und Ajanta***. 

Noch nie zuvor habe ich sowas gesehen. Vor mehreren hundert und tausend Jahren wurden Tempel, Statuen und Klöster aus den Stein gehauen und geschnitzt. Bis heute ist einiges dieser Kunstwerke mehr oder weniger gut erhalten geblieben und mit etwas Vorstellungskraft ist zu erkennen was damals dort abgegangen sein mag.

Wir wären nicht mit Indern unterwegs, würden wir in weniger als 48 Stunden nicht nur diese zwei herausragenden Sehenswürdigkeiten gesehen haben, sondern auch einen der 12 wichtigsten Shiva Tempel - das Ghrishneshwar Mandir - des Landes besucht haben. 

In einer langen, drängenden Schlange stellen sich Frauen Männer aus dem ganzen Land stundenlang an, um sich für einen kurzen Moment im innersten des Tempels zum Gebet zu verneigen. Man könnte in der Hitze der Mittagssonne, eingepfercht unter all den Gläubigen, ungeduldig werden. Man kann sich auch in Geduld üben. Den anderen dabei zusehen, wie sie das Warten als Teil der Hingabe - als Bhakti Yoga - leben und es ihnen gleich tun.

Irgendwo am Weg nehmen wir noch ein Miniaturenmuseum indischer Monumente mit. Es sei hier deshalb erwähnt, weil die Begeisterung des Inhabers/Kurators/Künstlers Mr. Vishnu Ghulepatil über seine Werke und seine Schau berührend und ansteckend ist.

Kedar versorgt uns in diesen Tagen nicht nur mit Geschichten über sein Land und die Hindu Kultur, er lässt uns auch die eine oder andere Köstlichkeit der vegetarischen Küche Indiens kosten und bei der Routenplanung für den Weg in den Norden stattet er uns mit hilfreichen Tipps aus.****

Als wir aus Pune aufbrechen sind wir so motiviert, dass wir unsere täglichen Etappen etwas verlängern. Wir wollen nun Meter machen. Noch ist die Hitze des Tages zum Aushalten, doch in wenigen Wochen wird es richtig heiß - so sagt man uns.

Einmal mehr rollen wir mal schneller mal langsamer durch die Landschaft Maharashtra’s. Über Hochebenen, auf Schotterpisten, Landstraßen und selbst die Autobahn erweist sich als angenehmer Fahrweg.

In Nashik gibt’s zwischendurch nochmal einen längeren Aufenthalt. 

Unser neuer Freund aus Pune fädelt eine Übernachtungsmöglichkeit bei seinem Freund Rajendra und dessen Frau Anita ein. Hier wollen wir wandern und ein wenig rasten. Doch es kommt anders als gedacht. Es kommt immer anders als gedacht.

Der hiesige Radfahr Club verleibt sich uns regelrecht ein. Wir werden geehrt und von einer zur anderen Veranstaltung gereicht und geladen. Wir halten einen Vortrag über unsere Reise, bei dem wir weniger zu Wort kommen, als die anwesenden Zuhörer:innen und bei dem ein Journalist der lokalen Tageszeitung zwar viele Fragen stellt, aber die Antworten überhört und im Artikel über uns letztendlich das schreibt, was er gerne seinen Leser:innen mitteilen möchte. Wir bringen uns bei einer Charity Veranstaltung ein, die Pilger:innen mit Jause und Wasser versorgt und wandern mit einer Schulklasse auf einen Tempelberg. Wir essen mit unserer Gastgeberfamilie wunderbar hausgemachtes Essen und nächtigen in einem Krankenzimmer ihrer Klinik (die beiden sind Ärzt:innen im eigenem Krankenhaus). Wir werden von den verschiedenen Menschen eingeladen und umsorgt und es wird uns zu ehren ein Puja (Andacht in einem Hindu-Tempel) gehalten. Selbst unsere Räder bekommen ein Service. In diesen drei Tagen lernen wir einmal mehr die grenzenlose Gastfreundschaft der Menschen dieses Landes kennen. Sind oftmals überfordert damit und erkennen, dass diesem Gefühl mit sich-drauf-einlassen und Humor am besten zu begegnen ist.

Wir verlassen Nashik in Begleitung einiger Radler:innen des Fahrrad Clubs, vollgefüllt mit Eindrücken und dem dringenden Bedürfnis nun wieder ein wenig für uns sein zu wollen.

Wenige Tage später radeln wir in Gujarat ein. Einem Bundesstaat im Nordwesten Indiens, den wir beide bisher noch nie besucht hatten. Hier verlassen wir das Dekhan Plateau und rollen kilometerlang über sanfte, bewaldete Hügel abwärts.

Eine Fähre bringt uns Mitte Februar auf die Halbinsel Saurashtra. Die Gegend hier ist flach und wüstenhaft. Wir passieren immer wieder Salzmoore und bestaunen, dass in einer so karg anmutenden Gegend doch so viel Leben herrscht. Der einzige Dämpfer dieser Tage ist, dass die hiesige Kulinarik nicht ganz unserem Geschmack entspricht. Es gibt kaum Frühstücksangebote und wenn dann ist es Fritiertes. Zucker findet in vielen Speisen Verwendung, die wir als nicht süß vielmehr lieben. 

Dennoch bleibt auch Gujarat in schöner Erinnerung: mit wunderschönen Jain-Tempel in Palitana. Mit einem Tempel, in dem es Brauch ist, Gelbwurzpulver durch die Gegend zu werfen. Mit einer Wanderung in Junagadh bei der wir 5000 Stufen bergauf steigen um eine kleine Gebirgskette zu überblicken, die sich aus der Ebene erhebt. Mit einer herzlichen Großfamilie irgendwo in einem kleinen Dorf, die uns zum Mittagessen einlädt und uns stolz ihre Milchkühe und das neu gebaute Haus zeigt. Mit einer Vogelsafari und den weltweit einzigartigen weißen Esel, die im „Little Runn of Kutch“ in einem Naturreservat leben.

Ende Februar radeln wir in den nächsten Bundesstaat - nach Rajasthan. Eine neu angelegte Autobahn durch grüne, hügelige Landschaft haben wir fast für uns allein. Kleinflächig angebautes Getreide steht kurz vor der Ernte. Wie schon in Gujarat, begegnen uns auch hier viele, viele streunende Kühe und vor allem Bullen. Teilweise sind es ganze Herden, die auf Futtersuche durch die Gegend streunen. Immer öfter fahren wir an Kamelen vorbei, die als Nurztiere in dieser trockenen Gegend ihren Einsatz finden.

In Udaipur, einstiger Hauptstadt eines großen Fürstentums, verbringen wir wenige Tage, machen Sightseeing und genießen zwischendurch mal wieder die Annehmlichkeiten einer touristisch erschlossenen Großstadt. Die Architektur hier ist schön anzuschauen. Die bunten Wandmalereien auf den Hausfassaden geben der Umgebung einen fröhlichen Ausdruck.

Das eigentliche Ziel unserer Reise durch Rajasthan ist jedoch Pushkar. Eine Kleinstadt nur vier Etappen von Udaipur entfernt. Das Städchen ist bei Hindus genauso beliebt wie bei Tourist:innen von außerhalb. Hier steht einer der wenigen Tempel des Hindugottes Brahma. Schmuck und bunt bestickte Kleidung wird in den Gassen zum Kauf angeboten. Die Kleinstadt ist längst nicht mehr so klein. Der Zauber dieses Ortes ist dennoch zu spüren.

Aus gesundheitlichen Gründen bleiben wir hier länger als geplant. Zwei Wochen verbringen wir damit gesund zu werden, kleine Spaziergänge zu unternehmen und endlich, endlich wieder Selbstgekochtes zu essen.

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*Warmshowers - eine Plattform für Radreisende, auf der man kostenlose Schlafplätze anbieten bzw. finden kann. Ähnlich wie Couchsurfing.


** Höhlen von Ellora - Seit dem Jahr 1983 zählt der Komplex aus 34 buddhistischen, hinduistischen und jainistischen Höhelntempeln zum UNESCO Weltkulturerbe.


*** Höhlen von Ajanta - buddhistischer Höhlenkomplex aus 29 Kult- und Wohnhöhlen. Ebenfalls seit 1983 UNESCO Weltkulturerbe.


**** Wer einmal eine Reise in Indien plant, und dabei die Himalayas erwandern möchte, kann mit Kedar und seiner Tochter Kruttika eine Reise buchen.

https://www.greenearthadventures.com/


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