zimtschneckenzeiten
zimtschneckenzeiten
vakantio.de/zimtschneckenzeiten

Etappe 14 - Tampere

Veröffentlicht: 02.01.2022

Als wir am nächsten Abend in Tampere einfahren, sind wir müde und wissen noch immer nicht, wo wir übernachten werden. Es ist Sonntag und morgen beginnt meine Arbeitswoche im finnischen Büro. Eigentlich hatten wir uns überlegt, ein Air BnB zu mieten, uns ein wenig Luxus zu gönnen und etwas Bequemlichkeit, um meinen Arbeitsalltag herum zu genießen. Aber es ist so schwer, einen Parkplatz in Tampere zu erkennen, auf dem wir den Camper sicher und nicht zu teuer abstellen können. Und es ist teuer. Etwa 600 Euro kostet uns eine Woche wohnen in einer schicken Wohnung in Tampere-Zentrum. Denn es muss so gelegen sein, dass ich bequem zur Arbeit radeln kann, das ist klar. Und noch ein Grund hält uns irgendwie davon ab, unumwunden ein AirBnB zu mieten: Wir fühlen uns wohl in unserer Zimtschnecke und wollen nicht unbedingt alle Sachen raus räumen und dann wieder einräumen und wer weiß, ob das Bett dort so gemütlich ist wie unseres. Und überhaupt.

Wir fahren eine Weile durch die langsam dunkel werdende Stadt. Der Campingplatz sah okay aus, recht einfach aber vor allem die Sanitäranlagen sind wirklich nicht schön. Und es ist kalt. Hier für eine Woche wohnen und arbeiten? Ich habe ohnehin schon viel Sorge vor der Arbeit, es ist doch ein neuer Schritt. Meinen Kollegen in Echt zu begegnen und mit ihnen zu sein und nicht mehr einfach den Laptop zuklappen können. Echte Menschen, nicht nur im Videomeeting. Nach 1,5 Jahren nur zu Hause arbeiten kommt mir das so unbekannt und damit etwas „gruselig“ vor. Andererseits freue ich mich auch auf die Zeit im Büro, alle kennenlernen und endlich mal zu quatschen. Chris sagt, es sei doch mutig von mir. Wer würde sowas schon machen? Auf seiner Reise auch zu einem Haufen unbekannter Kollegen fahren, ganz freiwillig und ohne direkte Einladung. Einfach aus Neugierde und Engagement.
Ja, ich sehe das auch alles so, aber so richtig wohl fühle ich mich gerade nicht. Mit keiner Lösung. Schließlich müssen wir erst einmal essen und das tun wir auch, in einer Kneipe in der Nähe des Campingplatzes, in der so einige zwielichtige Gestalten rumhängen. Das Essen ist aber lecker, auch wenn es als Limonade nur Fanta und Sprite gibt.

Schließlich fahren wir zu einer freien Stelle am Ufer des Sees, gleich neben dem Campingplatz. Hier fühlen wir uns auch wohl und irgendwie sicher. Freiheit kennen wir nun. Ich bin froh und dankbar, dass wir eine Lösung gefunden haben für die Nacht. Wie so oft ergibt sich immer etwas, das dann gut ist. Manchmal muss man erstmal an was anderes denken oder sich den Bauch vollschlagen, bevor sich eine Lösung findet.

Am nächsten Morgen führt uns unser erster Weg zur Post. Dort lagert nämlich unser Paket, das nicht nur Dresdner Wein und Stollen für meine Kollegen und dank Theresa und Basti Wärmesohlen und ein wollener Poncho, sondern auch unsere Briefwahlunterlagen beinhaltet. Es ist ein großartiges Gefühl, nach beinahe 2 Monaten ein Paket aus der Heimat ausgehändigt zu bekommen und dieses zu öffnen und dann alles wie bestellt darin zu finden. Sogleich setzen wir jeder unsere Kreuze auf den Wahlzetteln, verschließen die zwei roten Umschläge sorgsam und bezahlen pro Brief 20 Euro, damit er als Priority/Express innerhalb der nächsten 5 Tage in Deutschland pünktlich zur Bundestgaswahl 2021 ankommt. Viel Glück!

Dann fährt Chris mich zur Arbeit. Das ist ein gutes Gefühl. Aussteigen mag ich aber alleine und ein bisschen fühle ich mich, wie ein Kind am ersten Schultag, das sehr aufgeregt ist, aber auf keinen Fall einen öffentlichen Abschiedskuss jetzt haben mag. Da muss man durch. Allein. Und die Unterstützung von zu Hause ist einem gewiss und man fühlt sich dennoch begleitet. Das schafft Vertrauen. In sich und das zu Hause.

Nachdem ich über eine halbe Stunde den Eingang gesucht habe (Chris steht immer noch in der Nähe und schaut ob alles funktioniert, fragt er mich dann, ob ich vielleicht die Adresse falsch eingegeben habe). Ich schreibe meinem Chef. Der kommt dann auch gleich raus und ich freue mich sehr und wir fallen uns fast in die Arme. Nur dürfen wir das in Zeiten von Corona ja nicht und so wird es eine komische freudige unsichere Begrüßung mit Hand und Faust und Lachen und Schulterklopfen. Herzlich! Ich fühle mich gleich angekommen.

Alle Aufregung verwandelt sich in Freude. Wie anders es hier doch ist, als ich es mir vorgestellt habe. Und so groß. Und da sind die Kollegen. Mervi und Antti. So lieb und herzlich nehmen sie mich in Empfang. Ich freue mich und fühle mich sofort wohl und willkommen. Nach dem ersten Ankommen gibt es erstmal Kaffee. Und dann sitzen und quatschen wir bestimmt 2 Stunden lang. Über meine Reise, an der sie sehr interessiert sind und über Finnland und dass es letzte Woche schon Schnee gab in dem nahegelegenen Oulu. Und Sauna in Finnland, die so sehr dazu gehört, dass oft auch Büros welche für ihre Mitarbeiter einbauen. Ich staune und freue mich einfach hier zu sein. Ich kenne die Kollegen bereits seit fünf Jahren Zusammenarbeit. Per Mail, am Telefon und per Video. Nun eben auch persönlich. Und es passt!

Um 10.30 oder 11Uhr geht es dann zum Mittagessen. Das ist typisch Finnisch. Auch Abendessen gibt es für gewöhnlich schon um 17 Uhr. Ha! Wie soll man so denn seine Arbeit schaffen? Wir gehen gemeinsam über die Straße und dann in eine Kantine um die Ecke. Buffett zum Festpreis. Leckere Hausmannskost. Von dem leckeren Kartoffelpüree nehme ich mir nochmal nach. Ein wenig schuldbewusst denke ich an meinen Chris, der nun allein im Camper hockt und kein solches Essen vor sich hat. So lieb, dass er die Woche hier mit mir verbringt und auf mich wartet und sich kümmert und mich damit emotional und auch ganz praktisch unterstützt!

Der Tag vergeht wie im Flug und als ich das Büro verlasse, bin ich so gut gelaunt wie seit Jahren nicht mehr zum Feierabend. Spontan treffen Chris und ich uns in der Stadt mit den Fahrrädern, denn meine Kollegin hat mir eine tolle Rundtour mit dem Rad durch die Stadt mit allen wichtigen Sehenswürdigkeiten zusammengestellt und ausgedruckt. Ich könnte bersten vor Freude. Chris und ich auf Rädern durch Tamperes Nachmittagssonne bei 20 Grad und blauem Himmel. Sofort hat sich Chris die Karte einverleibt und führt mich sicher am See entlang, vorbei am baumbewachsenen herbstlich leuchtenden Ufer. Hinauf zum Berg über Tampere, bis auf den Aussichtsturm hinauf, von wo aus wir über die ganze Stadt blicken können. Durch Parks und an Denkmälern vorbei, entlang der Hafenstraße und dann wieder ins Stadtzentrum hinein, in dem das junge Leben pulsiert und wir uns ein Restaurant suchen.

Die gefühlt coolste Pizzeria der Stadt mit einem schauspielerisch begabten jungen Kellner ist unser Los und wir freuen uns über köstliche weiße und rote Pizza und pinken finnischen Gin. Glücklich radeln wir nach Hause, wo Chris vor den gruseligen kargen Waschräumen auf mich wartet, damit ich im Dunkeln nicht allein dort sein muss. Ja, zu Hause, so fühle ich mich im Camper längst und auf diesem Platz hier sind wir wohl auch angekommen. Dank meinem Mann, der einen schönen Stellplatz ausgesucht und alles schon eingerichtet hat.

Am nächsten Tag lerne ich Masi kennen, eine meiner Kolleginnen, die mir bisher am meisten Vorbild und Reibungsfläche war. Sie ist sehr selbstbewusst, weiß außerordentlich gut Bescheid- und kann manchmal sehr kurz angebunden, streng oder gar zickig wirken. In echt finde ich sie nur noch toll, weil sie nur redet und ich so vieles erfahre und unsere gegenseitige Herzlichkeit alles aufwärmt und jedes strenge Wort mit einem Augenzwinkern begleitet.

Masi fragt mich dann auch direkt, ob ich nicht mit ihr und ihrem Mann heute in die Sauna gehen mag? Ha! Früher hatte ich schon ein komisches Gefühl, Privatleben und Job zu verbinden, in dem ich mit einer Kollegin in eine Bar ging. Nun also nur in Badesachen nebeneinander schwitzen!? Ja klar, kein Problem. Wir sind ja in Finnland und kulturellen Eigenheiten gegenüber aufgeschlossen. Chris stimmt auch sofort zu und so treffen wir uns am Abend in der Sauna. Das ist total toll, denn es ist eine fancy Einrichtung, mit Bar und Restaurant verbunden, direkt in der Stadt am See, sodass das Tauchbecken aus Seewasser besteht. Und es gibt wärmende Glashütten draußen, in denen man nach dem Schwitzen einen Drink nehmen kann. Uns gefällt das alles wunderbar!

Danach gehen wir auch noch mit den beiden asiatisch essen und als wir Trinkgeld geben wollen, versteht die Verkäuferin die Welt nicht mehr. Sowas gibt es in Finnland nicht, die Restaurants sind nicht service-orientiert und die Kellner erhalten genug Geld, auch ohne Tipp, wie wir dann auch von Masi erfahren. Masi heißt übrigens mit vollem Namen Dr. Masoumeh Hasani. Sie ist Iranerin und hat hier ihr Studium und ihren PhD gemacht. Seit 10 Jahren lebt sie hier und hat nun auch ihren finnischen Mann, Toni, geheiratet. Ihre Familie lebt in Iran. So gerne würde ich mehr über ihre Erfahrungen, ihre Geschichte erfahren. Von einem anderen Kollegen, den ich schon seit Jahren kenne, Krisakorn, weiß ich, wie aufregend die Einwanderung in Finnland verlaufen kann. Er ist Thailänder und vor einigen Jahren mit seiner Frau hierher gekommen. Auch ihn treffe ich im Büro wieder und die Freude ist groß. Das letzte Mal hatten wir uns in Malaysia in 2018 gesehen. Als Reisen noch normal war. Über den mitgebrachten (im Paket geschickten) Christstollen aus Dresden freut er sich immens- er hat früher in Dresden studiert und kennt die Köstlichkeit zu gut.

So verrinnt die Zeit in Tampere und ich bin froh, sie zu haben. So vieles wird durch die persönlichen Begegnungen erleichtert, was sonst nur via Chat und oft unzureichend geklärt werden kann. Beim Mittagessen haben wir immer sehr viel Spaß mit den Kollegen und Matti, mein Chef, ist cool. Ich mag ihn sehr und genieße es, mich seit langem mal wieder als Teil eines Teams zu fühlen. Antti nimmt sich viel Zeit, um mir Materialien und deren Aufbau zu erklären und auch Masi zeigt mir noch einmal vieles. Mervi und ich lachen viel und Tuomas ist lässig. Auch so manch einen Kollegen von früher treffe ich und freue mich über den persönlichen Kontakt. Hannu ist mal mein Kollege im Projektmanagement gewesen und Milla war bisher immer nur ein Name für mich, nun kenne ich das herzliche Lachen dazu. Und dann treffe ich auch auf Juha, der mich vor etwas mehr als einem Jahr gekündigt hatte, als er das Dresdner Büro schloss. Vielleicht ist es ihm schwer gefallen- jedenfalls ist ihm die Situation unangenehm, mich zu sehen. Gleichzeitig aber scheint er auch, sich über das Wiedersehen zu freuen. Das spüre ich ebenfalls. Wir haben einmal zusammen in einem Projekt gearbeitet und gemeinsam einen der wichtigsten Kunden der Firma betreut. Da der Herr auch sehr, sehr eigensinnig war, teilen wir so manch sonderbaren Moment. Juha ist etwa so alt wie ich, aber leitet den gesamten Entwicklungsbereich in der RFID Sparte eines 33 000 Mitarbeiter starken amerikanischen Konzerns. Wahrscheinlich ist es die finnische Verschlossenheit, die besonders in Anbetracht der amerikanischen Kultur als Coolness sehr positiv gewertet wird. So viel kann ich nun jedenfalls sagen- persönliche Begegnungen können sehr, sehr humorvoll sein mit den Finnen.

Am Donnerstag gehen wir dann zu einem „virtual reality Shop“, wozu uns Matti einlädt und ich Chris mitnehme. Ich möchte, dass er Matti und alle kennenlernt. Die Situation ist irgendwie komisch, da ich nicht weiß, ob es okay ist, ihn mitzubringen und er fühlt sich auch nicht so richtig wohl. Das finnische Pokerface und Regeln der Höflichkeit bieten mir hier eine gewisse Erkenntnisgrenze.

Nach dem Spiel gehen wir noch in ein schickes asiatisches Restaurant, ohne Chris dann. Die meisten Kollegen haben leider so spontan keine Zeit gefunden dafür, aber ich freue mich dennoch.

Matti fährt mich und mein Fahrrad sogar nach Hause. Schon am Morgen hatte er daran gedacht, dass das nötig sein könnte und seinen Gepäckträger in den Kofferraum seines Hybrid-Autos eingepackt. Ein lieber, fürsorglicher, umsichtiger Mensch.

Schließlich ist es Freitag und es bleibt nur noch der Vormittag für ein paar Erledigungen im Büro. Die Zeit ist gerannt und ich habe so wenig gearbeitet, wie lange nicht. Dafür umso mehr gesprochen und gelacht. So viel wie seit sehr langer Zeit nicht. Mir brummt der Kopf aber ich fühle mich gut und bin froh. Ein letztes Mal bin ich mit dem Rad zur Arbeit gefahren, am See entlang durch den Wald, dann ein kurzes Stück die Straße entlang, unter der Unterführung durch und rüber ins Industriegebiet. Mir fehlen die Dienstreisen und das Kennenlernen neuer Situationen und Menschen, irgendwo in der Fremde. Sich einleben in neue Gegebenheiten für kurze Zeit und dann wieder heimkehren. Hoffentlich kommt das bald wieder.

Antworten

Finnland
Reiseberichte Finnland