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Tag 122-133: Noch mehr Pässe und kein WiFi

Veröffentlicht: 25.08.2022

Tag 122: Das Zimmer für mich alleine zu haben war wirklich schön. Ich schlafe aus und mache mir einen sehr entspannten Morgen. Zum Frühstück gehe ich in die Pizzeria neben an, den einzigen Laden, in dem es hier Frühstück gibt. Um halb 11 checke ich aus und beschließe dann, zum Trail zu hitchen und einfach mal zu schauen, wie es läuft, obwohl ich eigentlich einen Nero machen wollte. Dieses Mal werde ich innerhalb von 10 Minuten mitgenommen. Als ich am Trailhead ankomme, sehe ich Warrior an der Straße stehen, die gerade zurück zum Parkplatz läuft. Ich gehe kurz zu ihr rüber. Ihr geht es inzwischen wieder besser. Wir werden von ein paar Leuten angesprochen, die auf andere Hiker warten und bekommen einen Apfel und Cola von ihnen. Dann verabschiede ich mich, denn für mich geht es zurück auf den Trail. Warrior und Hasbeen, der eigentlich hier sein sollte, treffen sich hier mit Hasbeens Vater, der die beiden zum Resupplie in die Stadt und dann auch wieder zurück zum Trail bringen will. Ich laufe gemütlich den Trail entlang, ohne mir Gedanken zu machen, wie weit ich laufe. Nach einiger Zeit komme ich am 2300 Meilen Marker vorbei. Davon werde ich nicht mehr viele sehen. 

Noch ein bisschen später sehe ich einen kleinen Jungen am Rand des Trails auf einem Baumstamm sitzen. Er hat einen Plüschglumanda dabei und da ich lange niemanden überholt habe und niemanden höre, frage ich ihn, ob alles okay ist. Er meint sie wollten in der Nähe campen, aber es wären zu viele Moskitos da. Ich sage ihm, wie nervig auch ich die Moskitos finde und frage, wo seine Eltern sind. Er meint die kämen gleich. Also laufe ich weiter und warte darauf, die Eltern zu treffen. Nach einiger Zeit komme ich an eine Trailgabelung. Hier sitzt ein weiterer Junge, offensichtlich der Bruder des ersten und neben ihm der Rucksack eines Erwachsenen. Dieses Mal spricht der Junge mich an und auch er meint, wie nervig die Moskitos doch seien. Ich bestätige das und frage nach den Eltern. Die seien weiter zurück, aber er sei bei seiner Tante. Ich frage ihn, ob das sein Bruder war, den ich vorher getroffen habe. Plötzlich zuckt er aufgeregt auf und fragt mich, ob ich ihn gesehen habe. Ich sage ihm, dass ich davon ausgehe und er ein wenig den Trail runter auf einem Baumstamm sitzt. Ob er seinen Glumanda bei sich hatte will der Junge wissen. Als ich das bejahe springt er auf, rennt den Trail Richtung See hinab und ruft: "Ich weiß wo er ist". Ich beschließe, ihm zu folgen und mit einem Erwachsenen zu sprechen. Kurz darauf kommt uns auch schon eine Frau entgegen, wohl besagte Tante. Ich erkläre ihr, wo ich den Jungen gesehen habe und kurz darauf kommt dann auch der Vater der Kinder dazu. Scheinbar konnte die Tante mit den Jungs nicht mithalten. Also hat sie dem einen gesagt, er solle an der Kreuzung warten, hat dort ihren Rucksack gelassen und ging zum See, um zu schauen, ob der andere in diese Richtung gegangen ist. Ich sage ihr noch, dass der erste Junge nicht besonders besorgt schien und sie meinte nur, dass er das nie sei. Anschließend laufen die Drei den Trail hinab, den ich gekommen bin, während ich dem Trail in die andere Richtung folge. Aus der Entfernung höre ich sie noch rufen, dass der Junge, den Namen verstehe ich nicht, warten solle. Ich denke, sie haben den verlorenen Sohn wieder eingesammelt, dennoch war das alles in allem eine Situation, die ich nicht noch einmal haben muss. Tatsächlich hatte ich mir schon vorgenommen, nach maximal zehn Minuten zurück zu dem Jungen zu laufen, wenn ich niemanden getroffen hätte. Zum Glück ist die Sache so gut ausgegangen, ansonsten wäre ich mir nicht sicher gewesen, was ich am besten gemacht hätte. Der Rest des Tages ist ereignislos. Es geht durch den Wald. Meinem rechten Bein geht es wieder überraschend gut, dennoch beschließe ich um halb 6, mein Zelt aufzubauen, da ich ursprünglich ja eigentlich einen Zero oder zumindest einen Nero machen wollte und das Bein nicht direkt wieder überlasten will. Im Zelt stelle ich dann fest, dass ich tatsächlich 16 Meilen gelaufen bin, aus dem Nero wurde also auch nichts. Trotzdem bin ich sehr zufrieden damit, wie es heute gelaufen ist. Es war sehr angenehm, einfach zu laufen, ohne ein Ziel im Kopf zu haben und danach zu schauen, wie schnell ich bin. Leider werde ich mir diesen Luxus nicht zu oft erlauben können, damit ich meinen Zeitplan einhalte. Dieser ist zwar nicht streng, aber doch vorhanden. Daher plane ich für morgen, beziehungsweise generell die nächsten Tage, je mindestens 25 Meilen pro Tag ein.  

Tag 123: Heute komme ich mal wieder wie geplant um 6 Uhr los. Die letzten Tage habe ich beim Packen immer getrödelt und es wurde irgendwas zwischen Viertel nach 6 und halb 7. So ist das wohl wenn man alleine ist. Nach einiger Zeit komme ich an einem kleinen Meadow vorbei, auf dem einige Lamas grasen. Damit habe ich überhaupt nicht gerechnet. 

Außerdem treffe ich heute sehr viele Dayhiker, da Sonntag ist und ich 13 Meilen vor dem Chinook Pass gecampt habe. Dort gibt es einen sehr großen Trailhead als Ausgangspunkt. Ich habe die interessante Fähigkeit entwickelt, Dayhiker (also die Mischung aus Waschmittel, Shampoo und eventuell Parfum) mehrere Dutzend Meter weit riechen zu können. So kommt es durchaus vor, dass ich in einer Kurve weiß, dass mir jemand entgegen kommt, bevor ich die Person sehe. Ich hoffe sehr, dass die Leute selbst einen weniger gut trainierten Geruchssinn haben, denn für sie wäre mein Geruch sicherlich deutlich weniger angenehm. Als ich über den Chinook Pass Trailhead laufe ruft mich plötzlich ein Fahrer aus einem Auto: "Hey, PCT Hiker! Hikertrash! Want some Trailmagic?" Natürlich will ich. Der Trailangel hat hier die letzten beiden Tage verbracht, hat aber noch mehr als genug Reste für mich. So bekomme ich eine 7Up, Milch, Käse, ein Ei, einen Rest asiatischen Nudelsalat und ein Stück Kuchen. Ein perfektes Frühstück also. Vor allem, da ich an so einem stark besuchten Trailhead am Wochenende nicht mit Trailmagic gerechnet habe. Der Trailangel selbst macht Sectionhikes des PCT. Nach dem Essen bedanke ich mich nochmal und laufe weiter. Je weiter ich mich vom Trailhead entferne, desto seltener sehe ich noch andere Hiker, abgesehen von einigen SoBos, die mir entgegen kommen. Immer wieder gibt es tolle Aussichten auf Mount Rainier. Ich campe auf einer Ridge ein wenig oberhalb des Trails und sehe jetzt aus meinem Zelt heraus den Berg, ein wirklich toller Anblick. Heute bin ich seit vier Monaten auf dem Trail. In etwas mehr als drei Wochen bin ich schon wieder in Deutschland, was im Moment schwer vorstellbar ist.

Tag 124: Heute gibt es wieder wenig berichtenswertes. Über den Tag komme ich immer wieder mit anderen Hikern ins Gespräch, sowohl SoBos wie NoBos. Der Trail führt die meiste Zeit durch Wald und Burnt-Areas. Ursprünglich wollte ich am Mittwoch am Snoqualmie Pass sein und dort beim Washington Alpine Club übernachten, der wohl recht ähnlich zu einer Hütte des Alpenvereins ist. Dann lief heute allerdings verdammt gut und ich lege ohne Probleme 32 Meilen zurück. Dadurch könnte ich tatsächlich schon morgen am Pass sein. Am Abend bekomme ich aber eine Nachricht von Warrior, die am Mittwoch am Pass sein wird und auch beim Club übernachten will. Also entscheide ich mich dafür, morgen einen sehr entspannten Tag auf dem Trail zu verbringen. 

Ich schalte meinen Wecker aus und suche mir einen See, an dem ich morgen einige Stunden verbringen werde. Ich könnte auch morgen zum Pass und einen Zero, einen richtigen, einlegen. Aber ich will mir gerne das Geld sparen und ein entspannter Trailtag hat gerade mehr Reiz, als einen Tag am Pass zu verbringen.

Tag 125: Heute Nacht gab es ein Gewitter, dass allerdings recht weit weg war. Trotzdem schlafe ich nicht besonders gut und bin froh, dass ich keinen Wecker gestellt habe. Am Ende stehe ich um 07 Uhr auf und laufe gegen 07:30 los. Am Morgen regnet es, teilweise sogar ein wenig stärker. Da ich aber größtenteils unter Bäumen unterwegs bin und es sehr warm ist ziehe ich keine Regenjacke an. Dadurch wird es später aber auch wieder einmal recht schwül. Ich genieße es, langsam zu laufen und keinen Stress zu haben. Der Trail ist heute wohl recht typisch für Washington, ständig geht es auf und ab und immer ist es sehr steil. Eigentlich wollte ich am Mittag schwimmen gehen, aber irgendwie passt das Wetter nicht und ich mache nur meine Pause am See, der sehr schön ist.

Schon gegen halb vier bin ich im Camp und überlege nochmal kurz, heute schon in die Stadt zu gehen und einen Zero dort zu machen. Am Ende entscheide ich mich aber dafür, zu campen und nachzudenken. Der Campplatz ist ein wenig versteckt und sehr schön und lange habe ich ihn für mich alleine. Aber nach 18 Uhr und dann um 20:30 tauchen noch andere Hiker auf, sodass wir am Ende zu Viert sind. Was vielleicht aber gar nicht schlecht ist, denn ganz in der Nähe heulen Kojoten.

Tag 126: Die 5 Meilen zum Snoqualmie Pass bringe ich schnell hinter mich. Gerade als ich ankomme ziehen Wolken über die umliegenden Berge und hüllen den Pass in Nebel, was sehr beeindruckend aussieht. Am Pass hole ich mir erstmal einen Kaffee und einen Muffin. Als ich damit zu einem Picknicktisch gehe treffe ich dort Waterbaby, worüber ich mich sehr freue. Später sitzen wir ein wenig in einer Hotellobby und dort treffe ich Metrics wieder. Auch dieses Wiedersehen ist sehr schön. Gegen Mittag kommt auch Warrior zum Pass. Wir verbringen den Großteil des Tages damit, mit anderen Hikern Pizza zu essen und Bier zu trinken. Unsere Resuppliepakete sind angekommen, also dieses Mal auch keine Probleme von dieser Seite. Am Nachmittag gehen wir dann zum Washington Alpine Club. Der erinnert ein wenig an eine Mischung aus Alpenhütte und Hostel. Für 30 Dollar gibt es eine Übernachtung im Schlafsaal, Abendessen, Frühstück, Dusche und die Möglichkeit zu waschen. Im WAC treffe ich auch Sabotage wieder. Heute ist der Tag der Wiedersehen. Die Zeit im WAC ist jedenfalls toll. Nach dem Essen gehen wir mit einem der Clubmitglieder noch auf ein Bier in die Brauerei. Derek, oder Double D, ist den Trail 2017 gehiket und will unsere Trailgeschichten hören. Nach der Brauerei lassen wir den Abend noch am Lagerfeuer ausklingen.
Tag 127: Nach dem Frühstück im WAC breche ich gegen 10 Uhr auf. Warrior will erst am Nachmittag los und vielleicht eine kürzere Alternative nehmen. Den ganzen Morgen über war es sehr bewölkt, doch gerade als ich aufbreche klart es auf und ich laufe durch Sonnenschein. Auch heute geht es wieder washingtontypisch entweder steil bergauf oder bergab. Außerdem ist der Trail heute sehr steinig und felsig, weshalb ich nur langsam vorankomme und mein rechter Knöchel wieder etwas weh tut. Aber die Ausblicke sind den ganzen Tag über fantastisch.

Washington ist definitiv ein Highlight des Trails und ich bin unsagbar dankbar dafür, dass ich überhaupt hier sein und all das sehen und erleben kann. Am Nachmittag hike ich mit Cowboy und Alien zusammen, zwei Hiker, die ich gestern schon kurz im WAC kennen gelernt habe. Wir haben sehr interessante und lustige Gespräche über den Trail, Politik und alles mögliche. Nach 21,7 Meilen wollen wir an einem Fluss campen. Eigentlich gibt es hier eine Menge Campsites aber tatsächlich sind die meisten schon belegt. Das kommt daher, das wir gerade die Mainbubble der SoBos treffen. Am Ende finden wir getrennt voneinander Zeltplätze. Meiner ist nicht toll, da er ein wenig abschüssig ist, aber für eine Nacht sollte es irgendwie gehen. Hoffentlich entspannt sich die Lage mit den Zeltplätzen bald wieder.

Tag 128: Ich habe trotz des nicht optimalen Zeltplatzes sehr gut geschlafen. Zunächst komme ich auch sehr gut voran, aber im Laufe des Tages bekomme ich wieder zwei Blasen, die eigentlich abgeheilt waren und vor allem am Abend macht mein rechtes Bein wieder Probleme. Morgen sollte ich am Stevens Pass neue Schuhe bekommen, ich hoffe sehr, dass sich diese Probleme damit erledigen. Auch heute geht es wieder ununterbrochen bergauf und bergab. Teilweise müssen für eine Meile Luftlinie mehr 3-5 Meilen Trail zurück gelegt werden, weil es so viele Serpentinen gibt. Washington ist definitiv wieder um einiges anstrengender und härter, aber auch alles in allem wesentlich schöner als Oregon. 

Am Abend gibt es seit langer Zeit mal wieder ein Rivercrossing, bei dem die Schuhe komplett nass werden. Inzwischen macht sich die lange Zeit auf dem Trail definitiv bemerkbar. Neben den Problemen mit meinem rechten Bein fühle ich mich inzwischen generell erschöpft und regeneriere nicht mehr richtig. Eigentlich bräuchte ich schon wieder einen Tag frei, allerdings habe ich dafür keine Zeit. Und nicht nur ich bin zunehmend am Ende, auch meine Ausrüstung ist in keinem guten Zustand mehr. Ich habe keine Ahnung, wie oft ich meine Isomatte inzwischen geflickt habe. Meine Hose ist ja schon lange genäht, hat immer mehr Löcher im Netzeinsatz und ist schon lange nicht mehr schwarz. Mein Sunhoodie scheuert an den Schultern langsam durch. Der Packsack für meinen Schlafsack ist ziemlich zerissen und wäre definitiv nicht mehr wasserdicht. Zum Glück habe ich im Alpine Club einen Packliner in der Hikerbox gefunden, falls es mal regnen sollte. Das größte Problem aber ist mein Rucksack. Am rechten Hüftgurt ist die Naht aufgerissen und ein großes Loch im Rucksack. Diese Stelle habe ich schon einmal mit Superglue geklebt und das hat mehrere hundert Meilen gehalten, ist jetzt aber wieder aufgerissen. Noch funktioniert alles und ich habe die Stelle möglichst genäht und werde sie morgen nochmal verstärken, aber wenn der Rucksack mir jetzt auf den letzten Meilen noch den Geist aufgibt wäre das ein echtes Problem, da ich keine Möglichkeit mehr habe, ihn auszutauschen. Mit ein wenig Glück könnte ich morgen in Leavenworth einen bekommen, sollte das der Fall sein, muss ich das ernsthaft in Erwägung ziehen. Aber lange muss er auch nicht mehr durchhalten, bis zur Grenze sind es noch 205 Meilen und dann muss ich noch meine kleine Lücke schließen. Das sollte jetzt noch irgendwie zu schaffen sein.

Tag 129: Die Liste meiner beschädigten Ausrüstung wurde heute Nacht von einem freundlichen Nagetier verlängert. Als ich meine Trekkingpoles in die Hand nehme stelle ich fest, dass die Handschlaufen angenagt wurden. Zum Glück sind sie nicht durchgebissen, mit ein wenig Tape sollten sie den Rest des Trails überstehen. Trotzdem wird mir heute morgen alles zu viel und ich bin in einer ziemlich deprimierten Stimmung. Mein Bein tut weh, ich fühle mich langsam, die ganze defekte Ausrüstung. Aus irgendeinem Grund habe ich das Gefühl, dass ich nicht rechtzeitig am Monument sein werde. Was totaler Quatsch ist, im Schnitt muss ich nur 23 Meilen pro Tag laufen, um am 21. wie geplant anzukommen. Ich denke auch mental bin ich einfach zunehmend erschöpft. Der Weg zum Stevens Pass ist das typische auf und ab. Immerhin ist es bewölkt und dadurch angenehm kühl. Erst als ich gegen 14 Uhr am Pass ankomme klart es auf und wird warm. Und dort erwartet mich ein großer Moralbooster.

Meine Schuhe und Socken sind tatsächlich angekommen. Und direkt als ich die Schuhe wechsle spüre ich, wie viel angenehmer sie sind. Mein Bein wird sicher ein paar Tage brauchen, um sich zu erholen, aber zumindest sollte es nicht mehr schlimmer werden. Und auch einen Hitch bekomme ich sehr schnell. Gerade als ein Auto hält, kommen noch zwei Hiker dazu, die ich gestern und heute ab und zu getroffen habe. Unser Hitch setzt uns direkt vor dem Safeway ab, damit wir resupplien können. Dafür müssen wir einmal durch Leavenworth fahren. Die ganze Stadt ist einem bayrischen Dorf nachempfunden, selbst manche Straßenschilder sind neben Englisch auch auf Deutsch beschrieben. Sogar der MC Donalds hat eine bayrische Fassade. Nach dem Resupplie gehe ich zum Outfitter "Der Sportsmann". Leider gibt es dort keine vernünftigen Rucksäcke und auch nichts zum reparieren. Am Stevens Pass habe ich in der Hikerbox eine Art Alleskleber gefunden und zum Glück mitgenommen. Mit dem und einer Menge Panzertape werde ich versuchen, meinen Rucksack über die letzten 240 Meilen zu bringen. Als ich durch die Stadt laufe komme ich am "King Ludwig's Gasthaus" vorbei, in dem es "German Cuisine" gibt. Kurz bin ich versucht, ein Schnitzel oder Schweinshaxen zu probieren. Aber bei den Preisen und der Qualität, die ich erwarte, verzichte ich lieber und gehe stattdessen zu MC Donalds. Da weiß ich wenigstens, was ich für mein Geld bekomme und laufe nicht Gefahr, in einer Touristenfalle zu landen. Da selbst der Campingplatz in der Stadt lächerlich teuer ist beschließe ich anschließend, zurück zum Trail zu hitchen. Dafür brauche ich zwar eine dreiviertel Stunde, am Ende werde ich aber von Anthony, einem sehr netten Mann, mitgenommen. Inzwischen ist meine Laune wieder richtig gut und mit den neuen Schuhen und auf einem einfachen Trail lege ich nochmal 3,2 Meilen zurück, bevor ich um kurz vor 21 Uhr mein Zelt aufschlage.

Tag 130: Heute war ein guter Tag. Wie erwartet sind meine Schmerzen im rechten Fuß nicht über Nacht verschwunden, aber das Gefühl ist doch deutlich besser. Und die Schuhe sind wesentlich leichter, was definitiv gut ist. Tatsächlich fällt mir erst jetzt im Rückblick auf, was für Klötze am Bein die anderen waren. Der Trail führt heute viel auf Kammlinien entlang. Ab und zu kann ich einen Waldbrand aus der Ferne sehen, der aber für den Trail nicht gefährlich wird und auch generell klein und unter Kontrolle ist. 

Daneben gibt es immer wieder tolle Ausblicke auf Glacier Peak. In den nächsten Tagen bis Stehekin will ich mindestens 26 Meilen pro Tag machen, wenn es gut läuft auch mal mehr. Da im Moment mein Rucksack aber noch schwer vom Resupplie ist und nach 26 Meilen ein guter Zeltplatz wartet, lasse ich es ruhig angehen. Ich mache eine Stunde Frühstückspause und mache später eine kleine Detour zum Pear Lake. Der ist wunderschön und ich gehe eine Runde schwimmen, da ich seit dem WAC nicht mehr geduscht und vor allem seit Trout Lake nicht mehr gewaschen habe. Das Wasser ist total klar und blau und angenehm kühl. Auf den letzten Meilen macht mein Bein dann wieder auf sich aufmerksam, aber es war schon deutlich besser als die Tage zuvor. Was ich noch nicht wirklich fassen kann ist, dass ich heute in einer Woche wohl tatsächlich am Northern Terminus stehen werde. Dann gilt es noch die paar Meilen in Oregon nachzuholen und dann ist dieses Abenteuer tatsächlich zu Ende. Unfassbar.

Tag 131: Heute morgen werde ich unsanft von meinem Wecker aus einem Traum gerissen. Warum genau tue ich mir das nochmal an? Heute wird mir nochmal besonders bewusst, wie lange es inzwischen morgens wieder dunkel bleibt. Im Dämmerlicht mache ich mich auf den Weg. Eigentlich haben die Cascades eine Ost-West-Ausrichtung, deshalb geht es auch so viel auf und ab. Heute morgen kann ich aber tatsächlich lange einem Berghang nach Norden folgen, wodurch es weniger Höhenmeter gibt und da der Trail in gutem Zustand ist komme ich richtig gut voran. Die ganze Zeit habe ich eine tolle Sicht auf die umliegenden schneebedeckten Höhenzüge und auf Mount Baker in der Ferne. 

Leider bleibt das nicht so. Der Abstieg zum Baekos Creek ist noch in Ordnung. Den Creek muss ich über eine zerbrochene Brücke überqueren, die eigentlich noch sehr neu aussieht. Ich hätte nicht hier sein wollen, als sie zerbrach. 

Nach der Überquerung beginnt dann schlimmstes Bushwhacking. Es ist nicht so schlimm wie nach Seiad Valley, aber wesentlich länger. Ständig ist der Trail überwachsen, abgerutscht oder es liegen Blowdowns im Weg. Manchmal auch alles auf einmal. Irgendwann erreiche ich dann den Kennedy Creek. Auch über diesen führte einmal eine Brücke, von der fehlt aber jede Spur. Zu gerne hätte ich sie genutzt. Das Wasser des Creek ist durch mitgeschwemmtes Sediment total trüb, sodass man nicht sieht, wie tief das Wasser ist. Und es ist ein reißender Fluss. Seit den Sierras war ich mit so einem nicht mehr konfrontiert. Laut FarOut gibt es ein wenig flussaufwärts einen Baumstamm, über den man queren kann. Diesen finde ich auch. Er ist bei weitem nicht so breit, wie ich mir das wünschen würde. Aber ich sage mir, dass ich, wenn der Stamm am Boden liegen würde, mit geschlossenen Augen darauf laufen könnte. Also stelle ich mich auf den Stamm und balanciere los. Ich weiß nicht, ob ich einfach einen schlechten Tag habe oder ob es daran liegt, dass ich alleine bin, aber plötzlich schießt das Adrenalin in meinen Körper und ich bekomme es mit der Angst zu tun. Durch das trübe Wasser, das unter mir entlang rauscht ist es schwer, einen Punkt zu fokussieren. Meine Beine fangen an zu zittern, kurz darauf meine Arme. Mein Atem beschleunigt sich und wird flacher. Ich weiß, dass ich nicht umdrehen kann. Ich konzentriere mich darauf, ruhig zu atmen und denke wieder daran, dass der Stamm an sich kein Problem ist und die Bedingungen drum herum keine Rolle spielen. Lange kann die Überquerung nicht gedauert haben, doch als ich das Ende des Stammes erreiche, setze ich mich erstmal kurz auf diesen, bis ich aufhöre zu zittern. Danach gilt es noch ein kleines Stück des Flusses über Steine zu überwinden, wobei die Füße zwangsläufig ein wenig nass werden. Der erste Stein auf den ich meinen Fuß setze rutscht weg und wird vom Fluss weggerissen. Zum Glück sitze ich noch auf dem Stamm, trotzdem ist es ein öffentlicher Schreck. Den nächsten Stein prüfe ich besonders sorgfältig und schlussendlich stehe ich am anderen Ufer. Zu gerne würde ich eine Pause machen, doch das abgebrochene Ufer ist hoch, besteht aus Sand und in diesem liegen große Felsbrocken. Immer wieder löst sich ein Stein und poltert in einer Staubwolke in das Flussbett. Ich sehe also zu, schnell aus diesem heraus zu kommen. Direkt im Anschluss beginnt ein sehr steiler Anstieg von über 1000 Höhenmetern. Die erste Gelegenheit, ein kleiner Vorsprung an einem Baum neben dem Trail, nutze ich für meine Mittagspause und erhole mich erstmal von der Überquerung. Eigentlich hätte mir diese nicht solche Probleme bereiten dürfen. Vielleicht bin ich das einfach nicht mehr gewohnt gewesen, oder es ist ein Zeichen für meine mentale Erschöpfung. Der Aufstieg ist nicht besser als der Abstieg auf der anderen Seite. Bushwhacking. Ich verfluche den Trail. Muss er so kurz vor dem Ziel so hart sein. Es ist, als wollte er sich nochmal gebührend verabschieden und es uns so schwer wie möglich machen. Natürlich ein dummer Gedanke, der Trail ist der Trail und interessiert sich nicht dafür, ob wir 130 oder 1300 Meilen vor der Grenze sind. Er ist so, wie es die Landschaft vorgibt. Und tatsächlich besteht ein gewisser Zusammenhang zwischen der Schwierigkeit des Trails und der Schönheit der Landschaft. Das wird mir eindrucksvoll vor Augen geführt, als ich es schließlich zum Fire Creek Pass hinauf geschafft habe. Dort erwartet mich einer der schönsten Aussichten, die ich in Washington bisher hatte. Obwohl es schon einigermaßen spät ist stehe ich minutenlang da und lasse die Szenerie auf mich wirken. Mit dem Tag und dem Trail versöhnt steige ich noch zum Mica Lake ab und schlage mein Zelt in einem Steinkreis auf. Obwohl ich heute früher losgelaufen bin als gestern, deutlich kürzere Pausen gemacht habe und 200 Höhenmeter weniger hatte als gestern habe ich nur 1,1 Meilen mehr geschafft. Das gibt einen Eindruck, wie schwer der Trail war und was das für einen Unterschied machen kann. Und dennoch muss ich sagen, dass es einer der eindrucksvollsten Tage war, die ich auf dem Trail hatte.

Tag 132: Auch heute ist der Trail sehr anstrengend. Als erstes geht es 600 Meter hinab zum Milk Creek. Ab ungefähr der Hälfte des Abstiegs sind die Switchbacks wieder stark überwuchert. Und direkt nach dem Fluss geht es dann auch schon wieder 700 Meter hinauf, wieder mit viel Bushwhacking. Nach etwa 4 Stunden habe ich 8 Meilen hinter mich gebracht. Luftlinie 1,5. Dann folge ich kurz einem Höhenzug mit tatsächlich wieder sehr beeindruckenden Aussichten, nur um dann wieder 1000 Höhenmeter zum Suiattle River abzusteigen. Bei diesem Abstieg gibt es kein Bushwhacking, zur Abwechslung gibt es Blowdowns. Früher gab es eine Brücke weiter flussaufwärts, diese wurde aber zerstört und die neue ist 3 Meilen flussabwärts. Auf dem Weg zur Brücke komme ich an einigen der größten Bäume vorbei, die ich je gesehen habe. Einige sind umgestürzt und liegen im Weg. Ihr Durchmesser ist deutlich größer als ich hoch und ich komme mir winzig vor. 

Als ich die Brücke erreiche sehe ich, dass diese von umgestürzten Bäumen schon an zwei Stellen beschädigt ist. Ich frage mich, wie lange sie hier wohl mitmacht. Nach dem Überqueren der Brücke geht es jedenfalls wieder 3 Meilen den Fluss hinauf. Weitere 6 Meilen Trail also, um Luftlinie etwa 1 Meile zurückzulegen. 

Zum Abschluss des Tages gibt es dann noch einen weiteren Aufstieg von knapp 1000 Metern. Dankeswetterweise hat dieser aber weder Bushwhacking noch Blowdowns, zumindest nicht zu viele. Ich bin total platt. Insgesamt 30 Meilen und je zwei harte Ab- und Aufstiege haben definitiv ihre Spuren hinterlassen. Und das deprimirenste ist, dass es durch die Switchbacks und die enge Schlaufe am Fluss auf der Karte so aussieht, als ob ich einen lockeren 15 Meilen-Tag gemacht hätte. Nun ja, ich bin eben kein Vogel.

Tag 133: Der Trail heute ist recht langweilig, da es ausschließlich durch Wald geht. Ein 20 Meilen Abstieg, um zur historischen High Bridge Cabin zu gelangen, einer Rangerhütte, die 1934 errichtet wurde. Von dort fährt ein Shuttle nach Stehekin. Gerne würde ich nach gestern ausschlafen, da ich aber den 14 Uhr Shuttle erwischen möchte, muss ich mich ein wenig ran halten. Am Ende komme ich perfekt um 13:55 an. 

Auf dem Weg nach Stehekin halten wir an der Stehekin Bakery. Schon von Beginn des Trails an hört man davon, wie gut diese Bakery ist und dass es sich um ein Highlight des Trails handelt. Und das kann ich durchaus bestätigen. Da das Diner in Stehekin wegen Personalmangels vor ein paar Tagen geschlossen hat, nehme ich mir auch noch genug für das Abendessen mit. Ich kaufe also eine berühmte Cinnamon Roll, ein Stück Coffeecake, zwei Sandwiches und zwei Stück Pizza vom Vortag. Vor allem die Cinnamon Roll und der Coffeecake sind fantastisch. Danach geht es weiter nach Stehekin selbst. Stehekin liegt am Lake Chelan, dem größten natürlichen See Washingtons und ist nur zu Fuß, mit einem Wasserflugzeug oder der Fähre zu erreichen. Das erklärt wohl auch, warum es schwierig ist, Personal für das Diner zu finden. Außerdem gibt es keinen Handyempfang und WiFi nur beim Store, 500MB für 5 Dollar. Gerne hätte ich hier einen weiteren Blogartikel veröffentlicht, aber so geht das leider nicht. Ich hole mein letztes Resuppliepaket im Postoffice ab, Dusche und wasche zum ersten Mal seit Trout Lake. Allerdings nur mit Handseife, denn Waschmittel gibt es weder im Laundromat noch im Store zu kaufen. Danach verbringe ich den Abend mit Sabotage und einigen anderen Hikern wie Mixed Tape und Bollywood, die ich in den letzten Tagen kennen gelernt habe. Zelten können wir dann kostenlos auf einem der Campingplätze, der ein Areal für Hiker zur Verfügung stellt.

P.S.: Inzwischen war ich an der Border und bin zurück in Oregon und fülle meine Lücke, da ich so lange kein WiFi hatte veröffentliche ich den Rest nach und nach.

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