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São Paulo

Veröffentlicht: 13.03.2024

Nach unserer Ankunft an der zentralen Busstation bestätigte sich mein erster Eindruck, denn bei Dunkelheit und starker Bewölkung wirkte die Gegend um diesen Ort nicht wirklich einladend.

Die ersten 9 Tage sollten wir in Ipiranga wohnen, einem Stadtteil etwas südöstlich des Zentrums. Hier hat unser Gastgeber Adilson ein Haus und vermietet 2 Zimmer für umgerechnet 6 Euro pro Nacht und Nase an Touristen. Ein echter Glücksgriff in einer sehr sicheren Gegend, denn Adilson sollte sich als äußerst zuvorkommender und freundlicher Gastgeber herausstellen.

Adilson unser Gastgeber

Einziger Nachteil: Trotz der Nähe zum eigentlichen Stadtzentrum war die Unterkunft etwas abseits der Sehenswürdigkeiten und lebhaften Viertel.

Für Distanzen von 15 km konnte man locker eine Stunde einplanen, denn der Verkehr ist auch außerhalb der Stoßzeiten eine absolute Katastrophe. Nicht verwunderlich bei fast 22 Millionen Einwohnern im Großraum São Paulo. Über ein Viertel der Einwohner Deutschlands lebt hier auf einer Fläche von 1.500 Quadratkilometern (ungefähr doppelt so groß wie Berlin), das muss man sich mal vorstellen.

Trotz des Spottpreises von 1€ pro Fahrt verzichteten wir größtenteils auf die Metro, da man sich bei arktischen Temperaturen eine weitere Vereisung der Atemwege ersparen wollte und griff größtenteils auf UBER zurück. Auch hier die Preise sehr moderat und für eine einstündige Fahrt durch die Stadt zahlt man zwischen 8 und 10 Euro.

Bei den ersten Fahrten durch die Metropole fallen die recht vielen Obdachlosen auf, welche mit einer erstaunlichen Kreativität jede Lücke, jeden Freiraum und jede Nische nutzen, um sich mit einem Verschlag aus Holz, aus Planen oder auch einem Zelt ein Obdach zwischen den unendlichen Fassaden zu errichten.

Teilweise findet man diese Art der „Bebauung“ kilometerweit auf winzigen Grünstreifen, welche durch Betonbarrieren mehrspurige Fahrbahnen voneinander trennen.

An den ersten Tagen trieben wir uns überwiegend in den hippen Vierteln der Stadt herum: Beco do Batman, eine Art Kunstdistrikt mit allerlei Streetart oder auch Vila Madalena, bekannt für seine große Auswahl an Restaurants und Clubs. Die Abende verbrachten wir gelegentlich in Pinheiros, hier gibt es unzählige Bars und Kneipen. Vor allem Billiard spielen die Paulistanos (so werden die Einwohner von São Paulo genannt) gern, wenn auch mit völlig anderen Regeln als bei uns.

Beco do Batman

Außerdem besuchten wir das japanische Viertel Liberdade, mit seiner riesigen japanischen Community und der analog dazu sehr authentischen Küche, sowie auch den Farol Santander, einen 161 m hohen Wolkenkratzer direkt im Zentrum, von welchem man einen sehr guten Blick über den Großstadtdschungel hat und von dessen Aussichtsplattform man die ungefähren Dimensionen dieser Megacity erahnen kann.

Nach ein paar Tagen gesellte sich Aaron zu uns, ein Mexikaner, den wir in Rio kennenlernten und wir verbrachten ein paar schöne Tage zusammen. Sehr zu meinem Gefallen, denn Aarons Fähigkeiten im Pool-Billiard sind ähnlich schlecht wie meine und es wurde in São Paulo sehr viel Billiard gespielt. 😃

Billiard mit Aaron

Wenn man einige Zeit in der Megacity verbringt, stellt man recht schnell fest, dass diese trotz ihrer enormen Größe alles andere als ein Moloch ist und auf jeden Fall ganz anders als man sich das vorher vorgestellt hat. Zwischen all den unzähligen und vor allem in die Höhe gebauten Betonburgen gibt es doch recht viel Freiraum und grüne Flächen. Man hat immer das Gefühl, dass man recht viel Raum hat und fühlt sich nie eingeengt durch die doch recht starke Bebauung. Faszinierend, da dies doch eigentlich im Widerspruch zueinander steht.

Auffällig ist auch die unfassbar hohe Anzahl an riesigen Murals, Malereien, Graffitis und sonstiger Kunst. Egal wo man sich gerade innerhalb der Stadtgrenzen befindet, man erspäht immer irgendwo eine überdimensional bemalte Fassade, wenn man seinen Blick schweifen lässt. Das gibt der Stadt einen sehr einzigartigen Touch und führt dazu, dass man eher die Farbtupfer als die grauen Fassaden wahrnimmt.

Parque Augusta

Man erwischt sich auch ständig dabei, dass man seinen Kopf eulenartig in alle möglichen Richtungen dreht, um noch einen kurzen Blick auf die nächste Malerei zu erhaschen, welche sich zwischen den grauen Fassaden auftut.

Bei einem unserer Spaziergänge durch Pinheiros hatten wir das Glück, den wohl bekanntesten brasilianischen Streetartkünstler Kobra beim erschaffen eines seiner Werke zu beobachten.

Das nach 3 Tagen fertige Ergebnis fasziniert und lässt staunen.

Kobras Werk nach Fertigstellung

Nach 9 Tagen schließlich hieß es, innerhalb der Stadtgrenzen umziehen. Berni aus Rostock sollte zu uns stoßen. Außerdem noch Lisa aus Salzburg und Matze aus Thüringen, welche wir beide während des Karnevals in Rio kennenlernen durften. Da für dieses Rudel unser Obdach bei Adilson zu klein war und wir außerdem etwas zentraler wohnen wollten, entschieden wir uns für ein gemeinsames Zimmer in einem Hostel in República, direkt im Zentrum der Metropole.

Im Hostel angekommen wartete ich auf Berni, dessen Flieger gegen 22 Uhr nach einer kurzen Anreise von nur 46 Stunden in São Paulo landen sollte. Während meiner Warterei schrieb ich mit 2 Brasilianern, die ich aus Rio kannte und welche mir auf Nachfrage, wo wir denn jetzt abgestiegen sind, fast zeitgleich antworteten, dass dies wohl nachts nicht die sicherste Gegend sei und wir auf unsere Sachen aufpassen sollen.

Da das Mädel am Counter des Hostels nicht der englischen Sprache mächtig war, sprach ich einen Südafrikaner an, um ihn zu fragen, ob er schon länger hier sei und die Bedenken meiner brasilianischen Kontakte teilen könne. Er antwortete mir, dass er erst angekommen sei allerdings gerade auf eine Freundin warte, die schon vor längerer Zeit auftauchen sollte aber wohl überfallen wurde. Tolle Aussichten soweit, also Gedanken zusammen nehmen, die anderen kurz sensibilisieren und Nachts nur in größeren Gruppen bewegen. Zumindest war man vorgewarnt.

Die nächsten Tage und nachdem alle eingetrudelt waren, verbrachten wir unsere Zeit noch mit ein wenig Tourizeugs und um Berni etwas die Stadt zu zeigen. Die Gegend um unsere Unterkunft ist tagsüber sehr belebt und gar nicht so übel. Nach Sonnenuntergang allerdings bietet sich ein komplett anderes Bild und man hat das Gefühl, dass allerlei übler und völlig abgefuckter Gestalten wie Zombies aus allen Löchern gekrochen kommen und die Straßen belagern. Ich habe in meinem Leben schon recht viele üble Gestalten gesehen aber die sich hier abspielende Szenerie nach Einbruch der Dunkelheit ist schon ziemlich bizarr und man merkt recht schnell, dass es keine gute Idee ist, sich hier Nachts allein durch die Straßen zu bewegen auch ohne Vorwarnung durch Einheimische.

Schlussendlich genossen wir zusammen noch die letzten Tage in der Megametropole, ohne Probleme und mit viel „Good times“ denn nach zwei Wochen sollte es endlich weitergehen, raus aus der Stadt, es war Zeit für etwas Abwechslung und Natur.

Farol Santander

Abschließend muss ich sagen, dass mir São Paulo ziemlich gut gefallen hat und auf jeden Fall ganz anders ist als ich es mir vorher vorgestellt habe.

Denn trotz all der Probleme, trotz der abgefuckten Typen, des Verkehrs und der schier unvorstellbaren Größe und all der Kontraste lässt es sich hier recht gut aushalten. Die Stadt ist sehr lebendig, es gibt allerhand zu sehen und überwiegend viele gemütliche und sichere Ecken an denen man problemlos Zeit verbringen kann. Und ich bin auch froh, etwas längere Zeit hier verbracht zu haben und mir ein recht verwertbares Bild von diesem vermeintlichen Moloch zu machen, was nämlich definitiv keines ist. Danke São Paulo!

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