Don Curry on Tour 4
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Don Curry und der russische Soldat

Veröffentlicht: 06.07.2023

Don Curry ist keinesfalls überrascht, dass es auf seinen Reisen ständig Überraschungen gibt. Selbst die beste Planung und Vorbereitung kann das nicht verhindern. Und soll es auch gar nicht. Überraschungen sind das Umami des Reisens, die raffinierte Würze, die etwas Gutes noch besser macht. Allerdings gibt es verschiedene Arten von Überraschungen. Es gibt die absolut positiven, wenn Don Curry z.B. ein Zimmerupgrade im Hotel bekommt; es gibt aber auch die absolut negativen, wenn z.B. Xerras Reifen plötzlich platt ist. Und dann gibt es noch Überraschungen, die so überraschend sind, dass man sie gar nicht richtig einordnen kann.

Das Frühstücksbuffet im 14th Floor Hotel bot keine Überraschungen mehr. Es lieferte jeden Tag die gleich hohe Qualität, nur die Sorte der beiden Säfte wechselte täglich. Da Don Curry Jerewan wieder Richtung Westen verließ, plante er zusätzlich einen kurzen Stopp an der Kathedrale von Etschmiadsin ein. Letztlich gab es dort keine Überraschung: sie zeigte sich genauso verschlossen wie am Sonntag, ohne dass ein Grund dafür ersichtlich war. 

Dann aber stieß Don Curry auf eine echte Überraschung. Im Dorf Aknalich, westlich von Etschmiadsin sollte ein jesidischer Tempel liegen. Don Curry wusste nicht viel über diese Religion, nur dass sie von radikalen Islamisten hartnäckig verfolgt wird. Wie würde ein Tempel der Jesiden aussehen? Auf schlechter Piste näherte sich Don Curry einem Grundstück am Rande des Dorfes. Als er Xerra verließ und durch ein Tor trat, war das Ambiente verstaubter Pisten und rückständiger armenischer Dörfer sofort vergessen. Plötzlich fühlte er sich wie auf dem Gelände einer Millionärsvilla: fachgerecht gestutzter Rasen, marmorne Statuen, mehrere strahlend weiße Gebäude, gepflegte Blumenrabatten mit Schwerpunkt auf Rosen und mindesten drei Gärtner, die gerade auf dem Gelände beschäftigt waren. Dazu gusseiserne Sitzbänke und dazu passende, ebensolche elegant gestaltete Abfalleimer. Don Curry defilierte an der Reihe der Statuen entlang, die wichtige Persönlichkeiten des jesidischen Glaubens darstellten, aber auch den armenischen Komponisten Komitas und ein junges Mädchen stellvertretend für den IS-Pogrom von 2016 im Irak. In einer kleinen Grabkapelle eines jesidischen Würdenträgers  entdeckte Don Curry zwei ausgestopfte Pfauen, einer radschlagend und einer in Ruhestellung. Vor der Tür zum hochaufragenden Tempel sah Don Curry mehrere meterlange Schuhanzieher; daraus schloss er, dass beim Betreten des Tempels jedes Schuhwerk abzulegen sei. Das Innere des Tempels strahlte Einfachheit und Pracht zugleich aus. Sämtliche Flächen glänzten marmorn, ein Altar aus Bergkristall leuchtete von innen und war mit einer goldenen Pfauenstatue geschmückt. In der roten Wand dahinter hatte man eine übergroße stilisierte Pfauenskulptur eingelassen. Sonst gab es nichts in dem Raum, keine Bestuhlung, keine liturgischen Instrumente, keine Ikonen oder Götterdarstellungen. In der spitzen Kuppel prangte das Abbild einer abstrahierten Sonne. Hier wurde ein freundlicher und lebensbejahender Glaube praktiziert, war sich Don Curry sicher. Doch zugleich wurde deutlich, dass sehr, sehr viel Geld zum Erschaffen und Erhalt dieser Anlage notwendig war und ist. Direkt daneben liegt ein jesidischer Friedhof, der neben lebensgroßen Portraits der Verstorbenen auch mehrere überdachte Sitzgruppen enthält, wo man gemeinschaftlich der Toten gedenken kann.

Ganz ähnliche Aspekte finden sich auch bei Don Currys nächstem Ziel,  dem armenischen Nationaldenkmal Sardarapat. Es erhebt sich nahe der türkischen Grenze, und das aus gutem Grund. In der Schlacht von Sardarapat gelang es den Armeniern, eine weit überlegene Armee des Osmanischen Reiches zu schlagen und damit den Vormarsch der Türken auf armenisches Territorium zu stoppen. Ein riesiger stelenartiger Glockenturm erinnert an diese Schicksalsstunde der Nation. Zwei überdimensionale geflügelte Stiere symbolisieren die Duldsamkeit und die Kraft des armenischen Volkes. Direkt daneben befindet sich ein Ehrenfriedhof für die Helden der verschiedenen Konflikte, die Armenien seitdem erlebt hat. Hier wurden Soldatinnen und Soldaten bestattet, die vor allem im Ringen mit Aserbaidschan ihr Leben verloren, bis einschließlich zum Jahr 2022. Besonders bewegend ist das Grab eines Zwillingspaars, die beide 2020 als Soldaten ums Leben kamen.

In eine entferntere, aber zugleich positivere Vergangenheit führten die nächsten beiden Ziele Don Curry. Die Kathedrale von Talin und die Basilika von Jereruk konnten zwar nur als Ruinen die Zeitläufte überstehen, künden aber mit ihrer herrlichen Architektur und ihrer schieren Größe von der einstigen Macht und Bedeutung Armeniens. Während Jereruk einst nahe der alten Hauptstadt Ani eine zentrale Position im Armenischen Königreich hatte, liegt es nun völlig abgelegen beim letzten Ort vor der undurchlässigen türkischen Grenze.

Don Curry aber wollte sich dieser Grenze noch etwas mehr nähern. In einem Reiseführer hatte er gelesen, dass es zwei Stellen gibt, von denen man einen Blick auf die Ruinen von Ani werfen kann. Vor 2 Jahren wandelte Don Curry bei seiner Reise durch Anatolien durch das ausgedehnte Ruinengebiet Anis und warf damals neugierige Blicke hinüber nach Armenien. Heute wollte er zurückblicken. Er wusste, dass sich das nicht einfach gestalten würde, da der beste Blick vom armenischen Dorf Charkow ausgeht. Dieses Dorf liegt allerdings bereits im militärischen Sperrgebiet. Man könne es trotzdem versuchen, ermunterte der Reiseführer, die Grenzsoldaten freundlich um die Erlaubnis zum Weiterfahren zu bitten. Genau das plante Don Curry. Und welcher armenische Soldat könnte dem Argument widerstehen, dass man unbedingt die alte Hauptstadt Ani sehen wolle?

Auf zunehmend schlechter werdenden Piste näherte sich Don Curry einem Tor zu einem ganz von hohem Stacheldrahtzaun abgetrennten Bereich. Er stieg aus und trat an das Tor. Aus einem Wachturm kam ein junger Soldat mit einem schwarzen Schäferhund an die andere Seite des Tores und sprach Don Curry an. Der wollte gerade nach Englischkenntnissen fragen und dann sein überzeugendes Ani-Argument anbringen, als er die Flagge auf der Uniform des Grenzers erkannte. Vor ihm stand... ein russischer Soldat! Was macht ein russischer Soldat hier an der Grenze zur Türkei? Hatte Russland nicht ganz andere Probleme zur Zeit? Klar, wusste Don Curry, gilt Russland immer noch als die wichtigste Schutzmacht Armeniens. Doch mussten russische Soldaten Armenien vor den Türken schützen? Oder vielleicht umgekehrt? Viel bedrohlicher entwickelte sich doch der Konflikt mit dem Nachbarn Aserbaidschan. Doch da schaute  Russland lieber weg, als tatkräftig zu helfen und Armenien konsequenter beizustehen. - All das ging Don Curry durch den Kopf, als er völlig überraschend einem Russen gegenüberstand. Sein Argument mit dem Appell an das armenische Nationalbewusstsein konnte er hier vergessen.

Der Grenzsoldat verlangte Reisepass und noch etwas von Don Curry. Den Pass reichte dieser herüber; der wurde aufmerksam studiert und als gültig anerkannt. Doch sein Gegenüber wollte noch irgendein anderes Dokument von Don Curry sehen. Er vermutete, dass es sich um eine offizielle Erlaubnis zum Durchfahren des Sperrbezirks handelte, doch er stellte sich lieber ahnungslos. Fast schon verzweifelt bemühte sich der Soldat, sein Anliegen Don Curry verständlich zu machen. Selbst der Schäferhund schaute Don Curry erwartungsvoll an. Doch der zuckte nur mit den Schultern. Schließlich lief der junge Mann zu seinem Wachturm zurück und holte ein Formular. Der Hund begleitete ihn. Beide kehrten zum Tor zurück, und der Grenzer hielt Don Curry ein Formular in kyrillischer Schrift entgegen. Dieses Dokument brauche er, erklärte der Soldat vermutlich. Don Curry zuckte wieder mit den Schultern und machte klar, dass er so ein Dokument nicht habe. Er wolle einfach nur weiterfahren, dies sei doch eine Straße. Wieder bemühte sich der Russe, ihm die Unmöglichkeit dieses Wunsches deutlich zu machen. Der Schäferhund schaute von einem zum anderen. Aus dem Wachturm  hörte Don Curry lautes Gelächter; die Kollegen amüsierten sich wohl köstlich, wie der junge Soldat den uneinsichtigen Reisenden abzuwimmeln versuchte. Er spreche kein Englisch, meinte schließlich bedauernd der Grenzschützer. Und er kein Russisch, erwiderte tröstend Don Curry, und beide mussten lächeln. Noch einmal zeigte Don Curry, dass er einfach nur ein Stück weiterfahren wolle. Inzwischen gewann er den Eindruck, dass der Soldat ihn eigentlich durchlassen wollte, aber nicht die über die Kompetenz verfügte, so etwas eigenmächtig zu entscheiden. So musste Don Curry am Ende tatsächlich umkehren. Selbst der Schäferhund blickte etwas traurig drein, wie Don Curry zu erkennen meinte. Doch zumindest hatte sich trotz aller Sprachprobleme eine gute menschliche Begegnung entwickelt. Don Curry freute sich an der grundsätzlichen Freundlichkeit und Offenheit des russischen Soldaten, und der hatte hoffentlich erlebt, dass die Bewohner des "Westens" nicht absolut bösartige und zutiefst russlandfeindliche Subjekte sind, wie es die Staatspropaganda so gern verlauten lässt.

Von Aufgeben hält Don Curry aber herzlich wenig. Schließlich gibt es eine zweite Stelle, von der ein Blick auf Ani möglich ist, wenn auch aus größerer Entfernung. Dazu musste er von einem anderen Dorf mehrere Kilometer einem Feldweg folgen, der in seinem späteren Verlauf direkt am Stacheldrahtzaun des Sperrgebietes entlangführte. Für Xerra kein Problem. Endlich sah er in großer Ferne tatsächlich die Kirchen, die Moschee und die Reste der Stadtmauer liegen - unverkennbar Ani. Scheinbar so nah, und doch von Armenien aus absolut unerreichbar.

Bevor er in seinem Hotel in Gjumri einkehrte, fuhr er noch etwas weiter zum Kloster Marmaschen. Dort sollte abermals eine unvergessliche Überraschung auf ihn warten. Kloster Marmaschen liegt im Gegensatz zu den meisten Klöstern Georgiens nicht irgendwo verborgen hoch auf einem Hügel, sondern verborgen tief in einem Flusstal. Kaum betrat er die Hauptkirche, sprach ihn eine Frau an, die schnell ins Englische wechselte und ihm einiges zum Kloster und seiner Geschichte erläuterte. Sie zeigte ihm die Ruinen der Rundkirche und das Grab jenes mittelalterlichen Architekten, der nicht nur Marmaschen, sondern auch viele Kirchen in Ani erbaut hatte. Dann fragte sie Don Curry, ob sie ein Gebet für ihn singen dürfe. Der hatte nichts dagegen, und sofort kniete sie sich vor den Altar der Klosterkirche, erhob die Hände und sang mit wohltönender Stimme ein sehr melodisches armenisches Lied. Damit erfüllte eine ganz andere Atmosphäre die sonst leere Kirche; sie wurde tatsächlich wieder zum Haus des Gebetes. Anschließend erklärte die Frau, dass sie Künstlerin sei und Don Curry gern etwas von ihren Werken zeigen wollte. Der konnte das jetzt gar nicht mehr ablehnen und kaufte ihr eine Kleinigkeit ab. Eine geschickte und ziemlich sympathische Verkaufsstrategie, dachte Don Curry, und behielt Kloster Marmaschen in guter Erinnerung.

Zurück in Gjumri, parkte Don Curry zunächst am Hauptplatz dieser zweitgrößten Stadt Armeniens. Sie musste allerdings 1988 bei einem Erdbeben schwere Zerstörungen erleben. Noch heute stehen einige Ruinen in der Innenstadt von damals zusammengefallenen Gebäuden, vielerorts zeigen großformatige Bildtafeln den Zustand direkt nach dem Beben. Neben der Erlöserkirche liegt noch die Kirchturmspitze, die dort beim Einsturz des Turmes landete. Gjumri wirkt deutlich geruhsamer als das vitale Jerewan, in seinem Zentrum gibt es noch zahlreiche der typisch armenischen Häuser aus schwarzem Basaltgestein; in Jerewan wurden die meisten bereits Opfer der ständigen Modernisierungswut. In genau so einem Haus übernachtete Don Curry vor zwei Jahren in der heute zur Türkei gehörenden Stadt Kars, nur gut 60 km von Gjumri entfernt. Auch die nach dieser Stadt benannte "Villa Kars" ist genau so ein traditionelles Haus. Die wenigen Zimmer der Villa folgen nicht dem weltweit üblichen praktischen Einheitsstil von Hotelmobiliar, sondern wurden jeweils individuell und geschmackvoll eingerichtet, als wäre man privater Gast bei einer Familie. Don Curry fand in seinem Zimmer "Botanica" ein Himmelbett, antike Möbel, eine klassisch gekachelte Küchenzeile und zahlreiche Dekorationen floraler Art vor. Hier würde er gern länger bleiben, dachte er sofort. Doch weder war das im Reiseplan noch am heutigen Abend möglich.

Denn Don Curry freute sich schon den ganzen tag über ein besonderes Abendessen in einem sehr besonderen Restaurant in Gjumri. Das "Cherkezi Dzor" gilt nicht nur als das bekannteste Fischlokal Armeniens, es lockt sogar gelegentlich russische Oligarchen an, die sich für ein Abendessen dort gerne einfliegen lassen. Dabei ist die gastliche Stätte gar nicht so leicht zu erreichen. Sie liegt ziemlich am Rande Gjumri, kann nur über eine kaum zumutbare Piste angefahren werden und erwartet außerdem, dass die Gäste dutzende steile Stufen zu ihm hinabsteigen. Doch sobald man angekommen ist, vergisst man sämtliche Strapazen. Auf mehrere rustikal-volkstümliche Häuser und Veranden verteilt sich der Gästebereich. In der Mitte befinden sich einige Wasserbecken, die mit Forellen, Stören und Fischen anderer Arten mehr als gut gefüllt sind. Sobald Gäste einen entsprechenden Fisch bestellen, wird er sofort aus dem Wasser geholt und direkt verarbeitet. Frischer geht es nicht! Zudem hat das Lokal vor einigen Jahren eine eigene Brauerei aufgebaut und schenkt seitdem eigene Biere aus. Mehr als genug Gründe für Don Curry, diesem verheißungsvollen Restaurant einen Besuch abzustatten. Er bekam einen schönen Platz auf einer Veranda zugewiesen und wurde mit zwei umfangreichen Speisekarten ausgestattet. Eine enthielt ausschließlich eine breite Palette von Seafood- und Sushi-Variationen. Doch auf Jakobsmuscheln und Garnelen konnte Don Curry verzichten in einem Land, dass keinerlei Zugang zum Meer besitzt. Die zweite Speisekarte listete die Gerichte aus den hiesigen Fischen auf. Don Curry merkte schnell, dass auch das für einen Einzelgast Schwierigkeiten mit sich brachte. An anderen Tischen bestellten die Gäste einen Stör oder eine Regenbogenforelle für die gesamte Gemeinschaft, dazu die entsprechenden Beilagen, von denen sich jeder bedienen konnte. Don Curry konnte sich aber schlecht eine halbe Forelle oder einen Viertel Stör fangen lassen. Außerdem wäre es ihm schwer gefallen, ein Lebewesen so direkt zum Tode zu verurteilen. Also wich er aus auf eine Suppe mit Forelle, einen Sommersalat, eine Platte mit verschiedenen rohen, marinierten und geräucherten Stücken von Lachs und Forelle, zwei Zitronen und natürlich Lavash, das hauchdünne Fladenbrot, dazu ein selbstgebrautes Premium Pilsner. Alles äußerst schmackhaft und von herausragender Qualität. In diesem Lokal gab es sogar einen "Gruß aus der Küche" vorweg: frittierte Lavash-Stücke mit selbstgemachter Kaviarsauce - superlecker! Quasi als Dessert orderte sich Don Curry noch die zweite Sorte der eigenen Brauerei, ein Honigbier.

Mehr als zufrieden kehrte er in sein wunderbares Zimmer zurück. Nicht alles war heute nach Plan verlaufen, doch die vielen positiven Überraschungen hatten das mehr als wett gemacht. Noch immer freute sich Don Curry über den freundlichen Grenzsoldaten, den schwer erarbeiteten Blick auf Ani, das gesungene Gebet, den leckeren Fisch und - jetzt gerade besonders - über sein bequemes Himmelbett. Und er freute sich bereits über all die Überraschungen, die morgen auf ihn warten würden...

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