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Udaipur - Indien

Veröffentlicht: 30.10.2023

Udaipur ist architektonisch, kulturell, klimatisch, religös und landschaftlich so, wie ich mir Indien immer vorgestellt habe. Die vielen rechteckigen Häuser mit ihren Dachterrassen stehen ungeordnet und in unterschiedlichen Höhen neben- und ineinander. Die Fenster und Geländer sind alle mit Schnörkeleien verziehrt, die an treibende Pflanzen erinnern und die Häuser erst ästethisch machen. Zwischen den eierschalweißen Gebäuden springen die Affen von Dach zu Dach und man sieht immer irgendwelche Menschen ihre Wäsche waschen oder Muslime ihre Gebete ausüben während in der Ferne traditionell indischen Musik aus einem der Shiva- oder Rhamatempel ertönt. Von dem Dach des Hostels überblickte man den riesigen Picholasee, den Süden der Stadt, den Stadtpalast und in der Ferne konnte man Abends der Sonne zuschauen, wie sie langsam hinter den Gebirgszüge unterging. Abends saß man dann meisten mit den anderen Reisenden zusammen, trank kostenlosen Chai, plauschte und schaute sich das Wunder der verschwindenen Sonne an.

Ich war noch nie an einem Ort an dem so viele kaukasische Backpacker waren und ausgerechnet hier konnte ich nicht so richtig mit einem der Reisenden 'connecten', bzw. den richtigen Anschluss finden. Zu meiner Überraschung merkte ich aber sehr schnell, dass ich das in keiner Weise schlimm fande und lieber die Gesamtheit der Stadt genoß, als mich jetzt zwanghaft zu integrieren. Nichts desto trotz nahm ich an einer Sunrisetour Teil, bei der wir mit Rollern auf die Berge fuhren und uns dort das Spektakel des vorherigen Abends, nur umgekehrt anschauten. Nachmittags schlenderte ich dann durch die Stadt und den riesigen Stadtpalast, schlief viel in der Sonne und las Momo weiter.

Abends kam ich dann noch in ein sehr komisches/interessantes Gespräch mit einem super netten bekifften Auswanderer aus Kanada. Er laß zu der Zeit ein Buch über die Geschichte des Finanzwesens und war ein starker Anhänger der Bitcoin-community. Als wir länger über die Vor- und Nachteile der Währung sprachen, merkten wir auch immer mehr, dass wir sehr unterschiedliche Weltansichten hatten. Ich bemerkte, dass er davon überzeugt war, dass eine große, narzisstische Macht in ein paar Jahren den Menschen ihre Freiheit wegnehmen werde und man nur durch das investieren in den unabhängigen Bitcoin es verhindern könne. Seine moralischen Prinzipien, die ihm zu Beginn noch so wichtig waren, fielen alle während unserem Gespräch zusammen. Er wolle Kapitalismus und Liberalismus, nicht auf sein Fleisch, Alkohol, Tabak oder Gras verzichten, keine Steuern zahlen, in den Urlaub fliegen wie es ihm gefällt und reich werden, zeitgleich aber in einem Sozialstaat mit Gleichheit leben. Er merkte dann auch recht schnell, dass diese Gegensätze nicht so wirklich kombinierbar sind und statt auf eigenen Verzicht und Anpassung zu setzten, ziehte er es dann doch vor seine moralischen Grundsätze schnell um 180° zu drehen. Dann wollte er eine zwei Klassengesellschaft und die, die Pech hatten als Arbeiter zu enden, hatten eben das Pech.

Es war sehr komisch, da er eigentlich nicht wie ein ungebildeter oder unintelligenter Mensch sprach und argumentiere und er außerordentlich nett war. Trotzdem hatte seine Argumentation so viele Widersprüche und massive moralische Probleme, dass es einfach unmöglich war an irgendeine Art von Vernunft oder Sozialbewusstsein zu appellieren. Als er dann noch anfing, mir zu erzählen das mein "ganz dolle wichtiges Testesteron, für die so unfassbar wichtige soziale (NICHT biologische) Männlichkeit, durch meine vegetarische Lebensweise und die damit verbundenden viel mehr stattfinden chemischen Prozesse verloren geht", hätte ich ihn am liebsten ein Vortrag über den Hypothalamus-Hypophysen-Hormon-Kreislauf, über die Prozesse der Digestion von Kohlenhydraten, Fetten und Proteinen und über die Ätiologie von Minderwertigkeitskomplexen gehalten. Verzichtete dann aber, aufgrund der schlechten Prognose zur Erfolgsaussicht meiner Intention mit dem Vortrag, doch darauf. Wenn mir schon jemand sagt, dass chemische Prozesse ungesund, bzw. schlecht sind, verkrampft sich bei mir tief im inneren die Stimme meines Chemieprofs und Hoffnungslosigkeit macht sich breit. (Klingt vielleicht ein bisschen hart, stimmt aber.) Ich gehe doch auch nicht zu Menschen, mit meinem nicht vorhandenen Wissen über das Finanzsystem, Physik, Kunstgeschichte oder Marketing und mache so fundamental falsche Aussagen, mit einer Überzeugung die nur schwer von Fanatismus abzugrenzen ist... Nun, ja... So viel dazu.

Mich luden dann noch zwei nette Engländerinin zum Abendessen ein und wir hatten einen sehr lustigen und leckeren Abend in einem Lokal, das man nur durch ein Labyrinth an Privatzimmern und Treppensystemen erreichte, sodass man sich fühlte als ob man mehrfachen Hausfriedensbruch begangen hat und das Schlafzimmer von mindestens zwei Menschen sah. So traf ich dann doch noch zwei Leute mit denen ich klickte und mich wohl fühlte. Am nächsten Morgen gingen wir mit noch besserer Laune Frühstücken und mieteten uns zwei Roller mit denen wir die Gebirgslandschaft Udaipurs erkundeten. Dann hielt man Mal hier im Nirgendwo um einen Chai zu trinken und mit dem Besitzer, der natürlich null Englisch sprach, eine Runde Snake auf seinem steinzeitlichen Tastenhandy spielte, oder dort, um in den Ruinen von verlassenen Dörfern pinkeln zu gehen. Als wir in einem abgeschotteten Dorf halt machten, da uns Google Maps verkaufen wollte, dass es in der staubtrockenen Landschaft wirklich einen Wasserfall geben soll, liefen uns all die Kinder Mal neugierig hinterher und rannten dann wiederum lachend weg. Wir schmusten mit den Katzen, Ziegen, Kühen und fanden natürlich keinen Wasserfall.

Die Landschaft erinnerte an Aufnahmen irgend eines Mars-rovars, wobei auf den orangenen Gestein überall vertrocknete Graeser und Sträucher standen. Auch wenn jeder Berg individuell aussah und man vorerst kein System hinter der Lokalisation dieser erkennen konnte, fiel mir dann doch auf, dass die Berge, zwar durch Täler getrennt, sich doch in riesen langen Linien, bzw. Kämmen durch die Landschaft zogen. Diese, nicht sofort auffallende, Ordnung stand damit mit der initial bemerkbaren Unordnung im direkten Kontrast und machte den, so schon faszinierenden, Anblick noch extraplanetarischer. Als man dann noch kleine Dörfer und rudimentäre Häuser in der Ferne an den Berghängen erkannte wurde mein Kopf immer verwirrter und ich hörte auf mir Vergleiche oder Ursachen für den Anblick zu überlegen und genoß es einfach.

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